#Prosa

Das Eingemachte

Paul Blaha

// Rezension von Claudia Holly

Der Vorhang hebt sich. Vor den Augen erscheint ein Haus mit „geschmacklose[r] neugotische[r] Fassade“, das von seiner Verwendung her, so liest man, zwischen Pension und Etablissement (nicht zu verwechseln mit Bordell) schwankt. Die Besitzerin und Betreiberin dieser von den Einheimischen gemiedenen Institution, Olga Frieber, versammelt seit Jahren eine ausgewählte Gemeinde von Sonderlingen rund um sich und ihren Mann, der in der Ehe nur noch die Rolle einer lästigen Staffage spielt.

Den zeitlichen Rahmen des Geschehens bildet ein einziger Tag, an dem sich außer den offenbar eingeübten Dialogen zwischen den Pensionären nichts Besonderes abzuzeichnen scheint: der invalide Steiner, ein mutmaßlicher Nazi-Kriegsverbrecher, liefert sich Wortgefechte mit seinem an den Rollstuhl gefesselten Altersgenossen Abrahamovicz, der – als Jude – dem ehemaligen „Feindeslager“ angehört.
Annie, das „Dienstmädchen“,arbeitet mit allen Mitteln an der Aufdeckung der Steinerschen Vergangenheit und wächst mit ihrer emanzipiert-forschen Art zu einer beinah gefürchteten Autorität des Hauses heran.
Der „Diener“ Edgar spielt einen ähnlich ehrfurchtsvollen Part in dieser gleichnishaften Abhandlung.Er bezeichnet sich selbst schlicht und einfach als „der Umsturz“ (S. 100), das Spiegelbild des Volkes.
Luisa stammt aus der ehemaligen DDR und hat trotz ihrer Flucht die Last ihrer Vergangenheit mit einem Spitzelehemann zu tragen. Gemeinsam mit der geistig verstörten Schwester Klari sucht sie nach dem „Land, in dem es keine Politik gibt“ (S. 104).
Die rumänische „Operndiva“ Madame Petrescu kann sich ebenfalls nicht einer sauberen Vergangenheit rühmen, da ihre Liebschaften politische „Würden“träger waren. Als sie das Verschwinden von Luisas Geldbörse im klassischen Stil auf das Dienstmädchen abwälzt, gerät sie in die Fänge Annies.
Mit dem plötztlichen Eintreffen des Slowenen Frances nimmt das statische Szenario eine Wendung. Luisa und France fühlen sich vom ersten Augenblick zueinander hingezogen. Am Abend ihres Geburtstages, der vom Club der Sonderlinge mit dem Verzehr eines Eingemachten gefeiert wird, schmieden sie Pläne zur Flucht aus einer Wirklichkeit, die von manipulativer Politik, der Politik der Reichen und Privilegierten, nie frei sein wird.

Vor dem Hintergrund sich vermehrender Jammergestalten begehen die Pensionäre gleichsam das letzte Abendmahl, als bewaffnete IFOR-Truppen, angeführt von Annie und Edgar, das Haus überfallen. Der Show-down endet in Blutbad (der fliehende France wird von Edgar erschossen) und Gefangennahme. Bei laufenden Fernsehnachrichten zum Thema „Kollektive Friedenssicherung“ bemächtigen sich die Jammergestalten des Salons, während ihre Kinder draußen Krieg spielen.

Der Vorhang fällt, und man ist wieder um eine Geschichte reicher, die den Menschen, den Homo sapiens, und seine Abgründe zum Thema hat. Die Last dieser Grundsatzproblematik können ihr die stereotypen Figuren kaum abnehmen, auch wenn deren Zeichnung und Charakterisierung zum Großteil atmosphärische Qualitäten erwirkt.

Paul Blaha Das Eingemachte
Novelle.
Mit Zeichnungen von Adolf Frohner.
Wien: Edition Splitter, 1996.
112 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-901190-23-6.

Rezension vom 12.08.1997

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.