#Roman

Das bin doch ich

Thomas Glavinic

// Rezension von Gerald Lind

Im Spiel mit Genres und Schreibstilen wusste Thomas Glavinic schon in seinen bisherigen fünf Romanen zu überzeugen. Ob Persiflage eines Lebensratgebers („Wie man leben soll“, 2004) oder auf den Kopf gestellter Krimi („Der Kameramörder“, 2001), ob historischer Roman („Carl Haffners Liebe zum Unentschieden“, 1998) oder Fußball- und Gesellschaftssatire („Herr Susi“, 2000), jeder neue Glavinic war eine gekonnte Applikation oder Dekonstruktion der Regeln des jeweiligen Genres. Den bisherigen Höhepunkt seiner Erzählkunst stellte aber die 2006 erschienene Dystopie „Die Arbeit der Nacht“ dar. Die Geschichte von Jonas, der sich eines Morgens in einer menschenverlassenen Welt wiederfindet, war verstörend, spannend und großartig geschrieben.

In Das bin doch ich scheint nun erstmals der Autor Glavinic selbst in das Zentrum der Handlung zu treten. Doch der autobiographisch anmutende Text, der die Erfahrungen des Autors zwischen Beendigung und Publikation des Romans „Die Arbeit der Nacht“ schildert, wird als Roman bezeichnet und ist mit den Mitteln der Satire verfasst. Wie im Romanerstling „Alles ist erleuchtet“ des bei Glavinic als Figur auftretenden Jonathan Safran Foer trägt der Ich-Erzähler den Namen des Romanautors, wie übrigens auch nahezu alle anderen Figuren des Romans beim „richtigen“ Namen genannt werden. Gerade diese eigentlich größtmögliche Authentizität versprechende Methode zieht allerdings der Kritik an den Machtmechanismen des Wiener Literatur- und Kulturbetriebes die Zähne. Um niemandem Klagsgründe zu liefern, wird auch niemand als diskursbestimmender Machtfaktor kenntlich gemacht, stattdessen werden – meist alkoholbedingte – Peinlichkeiten und harmlose Eitelkeiten geschildert, die alles in allem als unverfänglich zu klassifizieren sind.

Das bin doch ich ist erzähltechnisch geschickt über eine Verschränkung des Fiktionalen mit dem Realen konstruiert. Spannung wird dadurch erzeugt, dass der Leser den Ausgang des Romans kennt („Die Arbeit der Nacht“ war ein Erfolg bei Publikum und Kritik), der beständig über schriftstellerischen Erfolg und Misserfolg reflektierende Ich-Erzähler aber nicht. Ein damit in Zusammenhang stehendes, den Roman organisierendes Moment bilden die Dialoge des Erzählers mit dem Freund und Schriftstellerkollegen Daniel, dem mit „Die Vermessung der Welt“ ein kaum zu überbietender Bestseller gelungen ist. Leitmotivisch ist dabei die Frage nach den Verkaufszahlen: „‚Wie viele sind es bei dir gerade?‘ ‚Willst du das jetzt wirklich wissen?‘ ‚Na klar.‘ ‚250.000.‘ ‚Ach komm, wieso erzählst du mir das?'“ (S.149) Daniels Erfolg fungiert als Folie für die Schilderung des in einer Warteschleife gefangenen, mediokren Alltags des Ich-Erzählers. Als dieser bei Perlentaucher liest, in der Süddeutschen würde Daniel als „der beste Autor seiner Generation“ bezeichnet, zuckt er zusammen. „Das bin doch ich! mein erster Gedanke. Halt! Ich zwinge mich zu denken. Daniel hat ein wunderbares Buch geschrieben. Er verdient sich alles Lob, das er bekommt. Ich kann ihm diesen Zeitungsartikel schon mal verzeihen. (So wie die Titanic mal eine Umfrage in der Fußgängerzone machte: Sollen wir den Juden endlich verzeihen? Und 80 Prozent kreuzten Ja an.“ (S.41) In dieser Passage zeigt sich eine besondere Qualität von „Das bin doch ich“: im Blick für das Komische im Tragischen, im (selbst-)ironischen Umgang mit den Beschwernissen der Welt.

Das bin doch ich steht seinem Vorvorgänger „Wie man leben soll“ auf den ersten Blick erheblich näher als dem für die Handlung wichtigen „Die Arbeit der Nacht“. Vielleicht wird aber gerade in der Differenz die Referentialität der beiden Romane erkennbar. Denn in gewisser Weise mutet „Das bin doch ich“ als Gegenentwurf zu „Die Arbeit der Nacht“ an. Dem in „Die Arbeit der Nacht“ thematisierten ausweglosen Eingesperrtsein im eigenen Ich wird in „Das bin doch ich“ mit augenzwinkernder Ironie ein Weg ins Freie gezeigt. Aus dieser Perspektive erhält der Roman, wie folgende Passage über die erste öffentliche Lesung aus „Die Arbeit der Nacht“ besonders deutlich zeigt, einen Subtext, der dem Vorgänger das Gravitätische nimmt: „die kleine Lampe auf meinem Pult ist die einzige stärkere Lichtquelle weit und breit, binnen Sekunden bin ich umschwärmt von Hunderten Insekten. Ich beginne zu lesen. Sie fliegen mir in die Haare, in die Ohren, in die Nase, sie fliegen mir in den Mund, sie ersäufen sich in meinem Bier, sie lassen sich beim Umblättern zwischen den Seiten zerquetschen, und ich fuchtle herum und lese. Es klappt ganz gut.“ (S.234) Neben der Möglichkeit einer intertextuellen Lesart lässt sich an dieser Passage aber auch ein anderes wichtiges Moment des Romans zeigen: die Konfrontation der Außenwahrnehmung des Rezipienten mit der Innenwahrnehmung des Autors und die somit ermöglichte Dekonstruktion auratisierender Perzeptionen von Literatur und ihren Produzenten.

Das bin doch ich ist eine intelligente, wenn auch zum Teil zu sehr an der Oberfläche verbleibende Reflexion über Praktiken und Habitus des literarischen und künstlerischen Feldes, dabei jedoch äußerst komisch und von ausgesprochen hohem Unterhaltungswert. Alles in allem ein gelungener Roman eines erstaunlich vielseitigen Autors.

Thomas Glavinic Das bin doch ich
Roman.
München: Hanser, 2007.
238 S.; geb.
ISBN 978-3-446-20912-1.

Rezension vom 03.09.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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