#Roman

Das Beileid

Albert Drach

// Rezension von Astrid Reupichler

Nach Teilen eines Tagebuchs.

„Beileid ist fällig, sobald der Leichnam für die Bestattung freigegeben wird oder die Sicherheit eintritt, dass eine solche unterbleibt.“ (S. 7) Was aber passiert mit einem, der zwar noch im Besitz seines Körpers ist, dessen Seele aber mit dem Verlust der Geliebten von ihm gegangen ist? Sollte nicht ihm selbst aus Anlass seines psychischen Todes das Beileid ausgesprochen werden? Diese Fragen beschäftigen Albert Drach in seinem großteils auf privaten Notizen der Jahre 1946 bis 1948 basierenden Text.

Drach hatte nach mehrmaliger geglückter Flucht vor den Nazis Exil in Nizza gefunden und erlebte dort auch die ersten von Entbehrungen, Editionsversuchen und Rechtsstreitigkeiten gekennzeichneten Nachkriegsjahre, welche er in einem Tagebuch festgehalten hat. Anschließend fügte er diese autobiografischen Eintragungen in einem mehr als vierzig Jahre dauernden Überarbeitungsprozess zu einem Text zusammen. Daraus entstand Das Beileid, welches nun als Neuedition mit einem ausführlichen Kommentarteil, Fotos und Faximiles sowie Anmerkungen zur Textgenese versehen wurde.

Der Inhalt des Buches gibt ein mehr oder weniger genaues Abbild eines Lebensabschnittes des Autors, der von Orientierungssuche und der Überwindung seelischen Leids gekennzeichnet ist.
Nach einem missglückten Selbstmordversuch aus Liebeskummer tritt der Protagonist ein gespensterhaftes Dasein an, aus dessen distanzierter Sicht er sein eigenes Weiterleben erzählt. Ironischerweise ergibt sich der Selbstmordversuch im Rahmen der Zubereitung des bereits obsolet gewordenen „Liebesmahls“, eines eigens für das „Mädchen Sybille“ erworbenen Karfiols, und zwar durch das Ausströmen von Gas aus dem eingeschalteten aber nicht gezündeten Gasrechaud.“ So musste, was als Versehen begonnen, als Absichtshandlung schließlich in Kauf genommen, zu einem Erstickungstode führen, den mir die Nazis zugedacht, dem ich aber durch geglückte List entronnen war.“ (S. 8)

Den Mittelteil des Textes bilden zum Teil sehr kurze und stichwortartige, datierte Tagebuchnotizen, während Anfang und Ende aus einem längeren zusammenhängenden Fließtext bestehen. Aufgrund dieser uneinheitlichen Textgestaltung und der vermeintlichen Rohform des Materials wurde das Beileid bedeutungsmäßig häufig hinter die ersten beiden autobiografischen Schriften „Z.Z. Das ist die Zwischenzeit“ und „Unsentimentale Reise“ gereiht. Das Beileid ist ohne Zweifel der am stärksten autobiographische Text der Trilogie und unterstreicht diesen Charakter durch die Tagebuchform, die durchgehende Ich-Erzählung und den zum Teil betont ungeglätteten Stil, in dem die einzelnen Eintragungen wiedergegeben, nacherzählt und kommentiert werden.
Die Herausgeber der Neuedition versuchen nun die Bedeutung des vorliegenden Textes als bewusstes Spiel mit protokollierter, überarbeiteter und später oft ironisch kommentierter Lebenswirklichkeit zu betonen. Für das Lesepublikum ist der trockene, verschachtelte Stil Drachs, der mit Kurzinformationen und kaum ausformulierten Sätzen gemischt wird, aber nicht immer leicht lesbar und verleitet besonders im Mittelteil zum Überspringen der knappen Notizen.

Die Beschreibung Nizzas und der Bewohnerinnen des heruntergekommenen Mietshauses, das auch als Bordell frequentiert wird, zahlreiche meist unbefriedigende Damenbekanntschaften, der Kampf ums tägliche Überleben, welches durch geborgtes, im Casino erspieltes, durch wohltätige Organisationen gespendetes und genau aufgelistetes Geld bestritten wird, und auch banale Vorkommnisse und nächtliches Onanieren werden dem Lesepublikum ohne Zensur präsentiert, wobei der Autor weder die dargestellten Personen noch sich selbst schont.
Besonders die Frauen werden oft in einem abwertenden Ton beschrieben oder nur auf ihre Rolle als Sexualobjekt reduziert. Frauen werden „gebraucht“, „benützt“, oder man(n) „kommt in ihren Genuss“. Auch das alter Ego von Drachs späterer Ehefrau Gerty (im Text Grete genannt) wird nicht mit herabsetzender Charakterisierung verschont.

Von Nizza aus unternimmt Drach erste Reisen zurück nach Österreich, wo er versucht sein Eigentum zurückzubekommen und wieder als Anwalt tätig zu werden. Die Rückkehr nach Österreich lässt ihn ein chaotisches, noch immer von ehemaligen Nazis und Denunzianten beherrschtes Land vorfinden. Nach langwierigen Bemühungen gelingt es ihm schließlich, den vom „deutschen Reich“ konfiszierten Drachhof in Mödling zurückzuerhalten, in dem sich zahlreiche Mietsparteien eingenistet haben, darunter der Hausmeister, der ihn einst an die Nazis verraten und damit seine Enteignung, die Deportation und schließlich den Tod seiner Mutter verschuldet hatte.

In der Darstellung dieser absurden Situation entfaltet Drachs umständlicher Protokollstil seine volle ironische und oft auch zynische Wirkung.
Den immer noch präsenten Terror des Naziregimes und das Fortleben von Hass, Verrat und Scheinheiligkeit beschreibt Drach in kurzen eingestreuten Episoden und „Minidramen“ – den Geschichten von Freunden, Bekannten, ehemaligen Nachbarn, wobei er eine Fülle an Namen und Fakten aufzählt, die beim Lesen zu zeitweiliger Verwirrung führen können.

Den ganzen Text hindurch wartet der „Verstorbene“ nun auf das ihm zustehende Beileid, das ihn schließlich am Ende der Erzählung wieder aus seiner Geisteridentität in ein menschliches Dasein zurückholt. Ein Freund und Trauzeuge spricht ihm anlässlich der Hochzeit mit Grete (Gerty), der Mutter seiner beiden Kinder, sein herzliches Beileid aus und holt ihn zurück in den Kreis der Lebenden.

„Denn ein Mann der sich verheiratet, ist von da ab untauglich zum Gespenst und hat dafür auf öffentliches und allgemeines Beileid Anspruch.“ (S. 216)

Albert Drach Das Beileid
Tagebuchroman.
Hg.: Bernhard Fetz, Eva Schobel.
Wien: Zsolnay, 2006.
287 S.; geb.
ISBN 3-552-05266-6.

Rezension vom 20.06.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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