#Roman

Das Andere

Peter Simon Altmann

// Rezension von Peter Reutterer

Die Suche des Einzelgängers nach „dem Anderen“
Paradoxerweise muss sich das Individuum auf sich selbst zurückziehen, um sich auf „das Andere“ hin öffnen zu können. Das führt uns der neue ­ wegen der Pandemie noch nicht präsentierte ­ Roman des Salzburger Autors Peter Simon Altmann vor. So wie in Altmanns früheren Büchern erhofft sich der Protagonist, über Erfahrungen im Fernen Osten (nicht zuletzt sind es auch erotische Begegnungen) dem mysteriösen Sinn unseres Daseins auf die Schliche zu kommen.

Seinem Strukturprinzip, die Romanhandlung an (kultur)philosophischen Konzepten festzumachen, bleibt der Autor auch im neuesten Werk treu: War es in „Der zweite Blick“ der europäische Don Juanismus, in „Der Zeichenfänger“ die Tiefgründigkeit chinesischer Ikonographie, so ankert die aktuelle Romanhandlung vor allem in Stendhals „Rouge et Noir“ und den Schriften des französischen Arztes Victor Segalen. Bei Stendhal gelingt es der Hauptfigur Julien Sorel vor seiner Hinrichtung, über die Begegnung mit einer Frau „das Andere“ zu erfahren, von kleinlicher Eigenliebe befreit zu werden und schließlich gefasst in den Tod zu gehen. In der Begegnung mit fremden Kulturen (bei Segalen und Altmann v.a. mit der ostasiatischen) geht es darum, Eigeninteressen und gewohnte Kategorien des Wahrnehmens und Denkens hintanzustellen, um sich wirklich auf das Andersartige und Exotische einlassen zu können. Dieses Öffnen und Erfahren von „Anderem“ bedeutet tiefste Sinn- und Wirklichkeitserfahrung.

Zunächst aber – wie zu Beginn angemerkt – muss sich Jakob Waltz auf sich selbst zurückziehen, er hat seine Karriere als erfolgreicher Prokurist beendet und auch seine familiären Verbindlichkeiten gegenüber Ehefrau und zwei Kindern aufgelöst. Um ohne Eigeninteressen und Verstellung durch eingefahrene Muster „das Andere“ erfahren zu können, bedarf es der Verfeinerung der Sinne. Das geschieht zum einen in Form von präzisen wie achtsamen Natur- und Weltbeobachtungen, in denen sich der zwischen Salzburg/Bayern und China/Thailand pendelnde Lebemann ergeht. Zum anderen erleben wir mit Jakob Waltz erotische Begegnungen, vor allem mit Asiatinnen. Durchaus behutsam, wenn auch mit wohltuender Ehrlichkeit abgehandelt. Ungebunden, obsessiv beobachtend und suchend, wird Jakob Waltz zum Forscher an der Wirklichkeit, eine Grundintention jedes ernsthaften Schriftstellers.

Damit bin ich bei dem großen Vergnügen angelangt, das Peter Simon Altmanns Prosa in ihrer schwebenden Eleganz bereitet. Mit der gekonnten Komposition aus Sinnlichkeit und Philosophie stellt er sich in eine Reihe mit Henry Miller, Milan Kundera oder Philipp Roth, natürlich in seinem ganz eigenen Sprachton und aus dem besonderen Blickwinkel seiner sympathischen Einzelgänger. Wenn man über literarische Verwandtschaften nachsinnt, fällt einem bei diesem Roman sehr schnell der große Autor der „Niemandsbucht“ ein. Bezüge zu Peter Handke sind allerdings in „der Zeichenfänger“ offensichtlicher.

Ja, ohne „das Andere“ lässt sich unser menschliches Dasein schwer ertragen. Offenbar ist dieses Bestreben, sich selbst zu überschreiten, in uns existenziell angelegt. Zuletzt flaniert Jakob Waltz an der Salzach entlang und hält sein Gesicht in die Augustsonne, vom angenehmen kühlen Wind umspielt. Sehr gerne habe ich mich mit diesem wohl bisher besten Werk des Autors – nicht zuletzt wegen des eleganten Sprachstils – auf einen Spaziergang mitnehmen lassen.

Peter Simon Altmann Das Andere
Roman.
Innsbruck: Edition Laurin, 2020.
160 S.; geb.
ISBN 978-3-902866-86-8.

Rezension vom 09.02.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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