#Prosa

Corona Carinthia

Gerald Eschenauer

// Rezension von Janko Ferk

Ein trügerisches Gemälde. Reale Dystopie.

Nicht zu verzeihen …

der Versuch, mich/uns für dumm zu verkaufen.
zu sagen, es sei kein Geld da.
die Kultur sterben zu lassen.
die Natur zu vernachlässigen.
die Gewinne einzustreifen und mir/uns die Schulden umzuhängen.
zu glauben, damit durchzukommen.

(S. 83)

CHRONIK DER LAUFENDEN EREIGNISSE IM CARINTHISCHEN CORONAJAHR

Gerald Eschenauer, der in den letzten Jahren als Literaturproduzent gleichsam explodiert ist, legt – ohne lange Unterbrechung – das vierte Buch vor, das er in den letzten drei Jahren geschrieben hat. Es sind immerhin Bücher mittleren Umfangs.

Das neueste Werk hat neben dem Titel sogar zwei Untertitel, wobei der zweite, „Reale Dystopie“, so etwas wie ein Widerspruch in sich ist, eine contradictio in adiecto. Übersetzen könnte man die contradictio – halb ins Deutsche, halb mit einem zusammengesetzten Fremdwort – mit dem Begriff „Eine in der Wirklichkeit vorhandene Antiutopie“. – Corona ist nichts anderes als eine real existierende Antiutopie. Eschenauer hat etwas genau auf den Punkt gebracht.

Im Buch geht es genauso weiter, zumal der Autor Phantasie und Erzählgabe besitzt. In ausuferndem Maß. Seine „Corona Carinthia“ ist, nebenbei bemerkt, das erste Pandemiebuch eines Kärntner Schriftstellers. Diese Thematik wird offensichtlich viel schneller literarisiert als andere – später historisch zu bezeichnende – Phänomene. Eschenauer ist mit seinen Büchern ab der „Miefke Saga“ (2012) überhaupt ein Chronist der laufenden Kärntner Ereignisse, der nicht davor zurückschreckt, Politik, die schiefgegangen ist, beim Namen zu nennen und zu kritisieren. Naturgemäß anders als der eminent politische Josef Winkler (s. S. 129 ff.), dessen Kritik einen – um ein Vielfaches – größeren Wirkungsgrad hat. (Beide Positionen sind für die Selbstreinigung der carinthischen Gesellschaft von Bedeutung.)

Gerald Eschenauers „trügerisches Gemälde“, so der erste Untertitel, beginnt am 26. März 2020 und reicht bis in die unmittelbare Gegenwart vor Drucklegung des Buchs, das heißt, bis in den Jänner 2021, und bis zu einer kurzen Erörterung der „Impfung“.

Das Buch spielt, wie bereits festgestellt, im Süden Österreichs, im „prachtvollen Kärnten“, das der Protagonist, den man durchaus mit dem Autor gleichsetzen kann, durchstreift und dabei notiert, dass das – durch den Lockdown – von Menschen befreite Land sich einer weltweiten Vernetzung nicht entziehen kann. „In einer intakten Infrastruktur lebt es sich ungeniert.“ Heißt es. Und – zweideutig – weiter: „Bis – ja, alles anders ist. Das Jubiläumsjahr CARINTHIja2020 haben sich das Land und seine Kaiser anders vorgestellt.“ Womit Eschenauer Recht hat. Im Jahr 1920, am 10. Oktober, hat in Südkärnten eine Volksabstimmung darüber stattgefunden, ob es bei Österreich bleibt oder dem SHS-Staat, vulgo Jugoslawien, zugeschlagen wird. Das damals überwiegend slowenischsprachige Südkärnten ist mit dem Votum der Kärntner Sloweninnen und Slowenen bei Österreich geblieben. Die Pandemie hat den großgeplanten Feierlichkeiten im Jahr 2020 einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.

Gerald Eschenauer findet über die vergangenen Feiern klare beziehungsweise offene Worte. „Diese Ewiggestrigen, die sich in Uniformen zwängen und sich Orden umhängen. […] Die Feiernden sind meist besoffen. Ich kann besoffene Menschen nicht ausstehen. Besonders nicht besoffene Frauen.“ (S. 15.) Er wächst aber über Kärnten hinaus, assoziiert Musik mit Rainhard Fendrich und konstatiert „I am from Austria“. (S. 20.)

In Coronazeiten gibt es zwar Musik, aber keinen Markt, keine Standler, kein Schafjoghurt und kein Bauernbrot. Dazwischen hält er einiges logisch, vor allem aber pessimistisch fest. „Wenn dieses Buch fertiggestellt ist, habe ich keine Freunde mehr.“ (S. 32.) Es ist nicht anzunehmen, dass er wegen ironischer Pauschalbeschuldigungen, denen der eine und andere beipflichten wird, viele Freunde verliert. „Kärnten ist ohnehin das Land der geistigen und kulturellen Einöde.“ (S. 34.) Dennoch geht und schreibt er weiter, die Kärntner Seen und Berge haben genug Anziehungskraft. Anmerkungen über Villach und Spittal an der Drau werden gemacht.

Schließlich findet er bemerkenswerte Worte über seine Tour d’Horizon. „Wenn nichts mehr geht, geht immer noch was. Zwei Dinge. Der Besuch eines Friedhofs, oder die Stippvisite in einem Bordell.“ (S. 62.) Bei Eschenauer kommt alles vor, was das Land zu bieten hat. Ein Nobelpreisträger, Kärntner Kasnudln, der Hypo-Alpe-Adria-Skandal, Roy Black vom „Schloßhotel“ am Wörther See und, und, und.

Köstlich ist sein „Teifl noch amol“-Dialog, mit dem Eschenauer zu erklären versucht, wie „man in Kärnten ein anerkannter Künstler“ wird. Die Antwort wird hier wohlweislich nicht offengelegt. Man lese im Buch nach! (S. 100ff.) Und staune.

Die „Kindheit“, ein Text vom 16. August 2020, ist offensichtlich ein Versuch über ein besonders prägendes Zeitalter, wie es Psychiater und Psychologen bekanntermaßen seit Jahrzehnten dozieren. Wahrscheinlich ist der Text deshalb im Kärntner Dialekt, seiner Kindheitssprache, abgefasst; Eschenauer ist in Zweikirchen, in der Nähe von Sankt Veit an der Glan, aufgewachsen. Die Schriftsprache wurde ihm danach im Gymnasium und an der Klagenfurter Universität beigebracht. Der Autor liefert – wohl aus Gründen der Leserfreundlichkeit – die Übersetzung in das Schriftdeutsche mit. (S. 103 ff.)

Im „Letzten Abendmahl“ versammelt er ein paar bekannte Kärntner und Kärntnerinnen sowie Nichtkärntner und Nichtkärntnerinnen. Armin Assinger, Ingrid Flick, Heidi Horten, Gaston Glock, Franz Klammer, Juergen Maurer, Paul Watzlawick und andere. (S. 129 ff.)

Den Schluss überlässt er mit drei Punkten („…“) der Leserin und dem Leser, denen er „Gesundheit“ wünscht. (S. 163.)

Gerald Eschenauer Corona Carinthia
Realsatire.
Wien: Mitgift Verlag O. O., 2021.
163 S.; brosch.
ISBN 978-3-903095-16-8.

Rezension vom 08.02.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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