Die 1987 in St. Pölten geborene Cornelia Travnicek, die heute in Traismauer und Wien lebt, und ihr deutscher Verlag, in dem nun ihr Roman Chucks erscheint, unterschlagen allerdings elegant, dass von Travnicek 2009 im Innsbrucker Skarabäus-Verlag der Geschichtenband Fütter mich erschien und ein Jahr zuvor die Literaturedition Niederösterreich ihre längere Erzählung Die Asche meiner Schwester in Buchform vorlegte. Dafür hat sich das Lektorat der zum Random House-Großkonzern gehörenden Münchner DVA entschieden, auf die Rückseite des Buches eine kurze Lobpreisung der Prosa von Cornelia Travnicek aus der Feder des nur wenige Jahre älteren steirischen Autors Clemens J. Setz zu platzieren, bei der man nach Lektüre des Buches füglich ins Zweifeln kommt, ob der Grazer, der mittlerweile im Berliner Suhrkamp Verlag seine Bücher erscheinen lässt und merkwürdigerweise nördlich des Mains, in Frankfurter, Hamburger und Berliner Feuilletons gepriesen und südlich dieses Flusses von der Kritik heftig gezaust worden ist, tatsächlich das selbe Buch vorliegen hatte.
Cornelia Travnicek siedelt ihren schwirrenden, täuschend leichten Roman in Wien an. Hauptperson ist die gerade 18 Jahre, also strafmündig gewordene Mae (die eigentlich Michaela heißt), recht eigentlich eine Liebessucherin. Ihre Familie ist zerbrochen, ihr vier Jahre älterer Bruder vor einigen Jahren elend an Leukämie gestorben, ihre Mutter flüchtete sich danach in Tablettenabhängigkeit, der Vater in Arbeit und Nebenbeiaffären, infolge derer er von seiner Ehefrau vor die Tür gesetzt wurde. Mae gerät in Kontakt mit der Punkerszene, vor allem freundet sie sich eng mit der wenig älteren Tamara an, die allerdings schon vieles ausprobiert hat, vom Aufbruch in ferne Welten in Form eines Physikstudiums bis zum Erkunden innerer Welten in Gestalt von Selbstnarkotisierung. Das Leben ist wild, auf den Moment fixiert, immer wieder verstößt Mae, die die Schule weitgehend auslässt, gegen das Gesetz. Nach und nach löst sie sich dann sukzessive aus der punkigen Existenzform, lernt einen etwas älteren Mann, Jakob mit Namen, kennen, einen jungen Architekten. Sie zieht mit ihm zusammen. Bei Jakob ist alles wohl überlegt, gut koordiniert, und präzis eingeteilt. Die Überraschungen halten sich in engen, normativen Grenzen. Was Mae bald zweifeln lässt. Und was sie hinübertreibt zu Paul, der eines Tages buchstäblich in einem Stiegenhaus über sie stolpert. Das Stiegenhaus ist ihr Rückzugsrefugium während vier Wochen, die sie auf Anordnung ihres Bewährungshelfers in einer sozialen Einrichtung ableisten muss. Es handelt sich um ein Aids-Hilfe-Haus; und auch Paul, der so gut aussehende, geheimnisvolle, bezaubernde Paul ist mit dieser Krankheit infiziert (durch einen bösen Zufall hatte er sich als Krankenpfleger bei einem um sich schlagenden blutenden Aids-Patienten angesteckt). Es ist die Geschichte einer amour fou, die Mae nun erlebt – eine intensive, glühende Abwechslung zu den abgezirkelten Aktivitäten Jakobs, von denen etwa ein an der Meteorologie wie an den provinziellen Rahmenbedingungen scheiternder Campingausflug von Travnicek mit reichlich abseitiger Situationskomik geschildert wird. Mae begleitet Paul, bis sein Immunsystem endgültig kollabiert, eine Lungenentzündung seine Einlieferung ins Spital erzwingt, wo seine Kräfte endgültig erlahmen und er schließlich stirbt. Da hat Mae bereits in kleinen Tupperdöschen Memorabilia des lebenden Paul zu sammeln begonnen, abgeschnittene Fußnägel, Haare, Sperma, auch Luft aus seinem Spitalzimmer. Und den Kater gepflegt und genährt, den Paul ihr schenkte und dem sie sinnigerweise den Namen „Schrödinger“ gab. Und sie beginnt danach eine neue Beziehung zu Jakob.
War Paul also ein Traum? Eine Halluzination? Ein episodisches Imaginationsprodukt? Das Ende lässt all dies recht souverän im Ungewissen. Diesen leicht zu lesenden Roman zeichnet ohnehin eine geradezu unverschämte Souveränität aus. Souverän hält die junge hochbegabte Travnicek das gesamte Buch über einen Ton durch, der den ihrer Protagonistin, einer End-Teenagerin, erstaunlich stimmig einfängt, die Attitüden, auch die Posen, die Einsichten, die Sehnsüchte und die mentalallergischen Zurückweisungen der Erwachsenenwelt. Aber auch für die Trauer, die Verluste des emotionalen Netzes, der familiären Geborgenheit, für Zuneigung, Liebesbedürftigkeit, lamentofreie Melancholie wie für zärtliche Rotzigkeit plus Humor und Ironie als austarierende Gegengewichte findet sie einen erstaunlich überzeugenden, durchweg schlackenlosen Ausdruck. Dass man von dieser jungen Autorin noch gehörig hören und wohl Gewichtiges lesen wird, dürfte nach diesem Buch feststehen.