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Cello, stromabwärts

Ursula Wiegele

// Rezension von Eva Maria Stöckler

„Im wortlosen Fluss der Töne“

Dass Luca keine traditionelle rumänische Flecksuppe, ciorba de burta, mag, stört Ciprian Enescu weniger als die Tatsache, dass sein Sohn das Cello am liebsten in die Donau geworfen hätte, auf dass es durch des Vaters Heimatland ins Schwarze Meer treibe. Luca verweigert den Bogen, der die Generationen verbindet, und spielt lieber die Viola da Gamba.

Der Cellist Ciprian Enescu und sein Sohn Luca, Bogdan Marinescu, Schauspieler und Vorarbeiter in einer Fabrik, seine Freundin Livia, die Tochter der Vermieterin Maria Agnelli, einer ehemaligen Sängerin,  und deren gemeinsamer Sohn Friedrich, Alexej, der ukrainische Pianist und Dirigent, Mitarbeiter eines Bestattungsinstitutes und Komplize von Bogdans illegalem Antiquitätenhandel – das sind nur einige der Bewohner des Hauses von Maria. Geflohene, Suchende, heimatlos Gewordene, verbunden durch die Musik und den großen europäischen Strom der Geschichte: die Donau.

Das Haus mit seinen vielen Zimmern ist der Ort, an dem ein übernationales Zusammenleben möglich ist, ein Verstehen „fremder Zungen“ über die Sprachen hinweg, vielleicht auch nur eine ferne Erinnerung an eine Zeit, in der diese Länder in einem Staat vereint waren. Nur im Schatten des Hauses taucht diese historisch-politische Ebene auf, und hin und wieder treten konkrete Gestalten aus diesem Schatten heraus: Paul Celan, Livias Lieblingsdichter, die Komponistin Violeta Dinescu, der Dichter Mihai Eminescu und die rumänische Revolution.

Ursula Wiegele entwirft in ihrem Debütroman Figuren, die Geschichte und Geschichten in sich tragen, die sich auf vielfältige Weise verflechten und wieder entflechten. Ciprian, Bogdan, Alexej sind Geflohene, Gestrandete aus dem Osten, jenem Osten, dem sie sich trotz der Diktaturen, die sie erlebt haben, immer noch verbunden fühlen, den sie fürchten und gleichzeitig suchen. Im Gegensatz zu Mihaela, die sich nach ihrer Flucht in Passau das Leben genommen hat, hat ihre große Liebe Ciprian überlebt. Und Bogdan, dessen letzte rumänische Liebe Daniela Opfer von Menschenhändlern wurde, handelt nun mit kleinen Gipsfiguren, barocken Putten, die die Kulisse der Erzählung bilden.

Mit Wehmut, aber auch Zuversicht stattet Wiegele ihre Figuren aus, lässt sie ihr Schicksal meistern, etwa wenn Bogdan nach seiner Flucht vor der Polizei Livia mit Ciprian nicht nur musizierend vorfindet, oder wenn Luca als Fabriksarbeiter auf eine Gambe hin spart, bis Maria sie im endlich schenkt. Der Strom der Erinnerung, der Strom in die Zukunft hält sie alle zusammen, und am Ende der Erzählung finden sowohl Ciprian als auch Bogdan den Weg nach Rumänien, der eine um Mihaelas Asche im Donau-Delta zu verstreuen, der andere, um seine Heimatstadt Temeschwar wiederzusehen.

Cello, stromabwärts ist ein poetischer Roman, ein musikalischer Roman, sprachlich wie formal. Das dreisätzige Werk beginnt mit einer langsamen Einleitung, einem Präludium, und endet in einer Postludium genannten Coda im Andante grazioso, das das Thema der Einleitung wieder aufnimmt: die Reise des Cellos durch das Donau-Delta hinaus aufs Schwarze Meer wird kontrastiert durch den stromaufwärts schwimmenden Schwan. Wie ein cantus firmus zieht sich dieses Cello durch die drei Teile, die aus sechs, sieben und wieder sechs Kapiteln bestehen, immer wieder taucht es zwischen den Geschichten, zwischen den Zeiten, zwischen den Worten auf. Und diese Worte sind Musik und Poesie, Bilder voller Macht und Zartheit gleichermaßen.

So verlegt Wiegele die Probe zum Canto General, den Alexej aufführen möchte, in ein „Schwimmbad“: „Mittwochabend. Im Probelokal gibt es Schwimmkurs. Fast alle schwimmen durch Teil eins, Algunas bestias / Einige Tiere. Ein Drittel der Sänger aber sind völlige Nichtschwimmer, sie klammern sich an den Schwimmern fest und ziehen sie nach unten. Luftblasen. Tongurgeln.“ (S. 154)

An anderer Stelle lässt die Autorin Livia vor Bogdans Sprach-Manie, seinem „Wörterzusammenleimen“ kapitulieren: „Im Laufe der Jahre hatte sie sich dann übersättigt an den Wortkombinationen, ihre Ohren waren müde von all den geschliffenen Monologen, den bühnenreifen Wortkaskaden. Sie fand Ruhe im Klang des Cellos, im wortlosen Fluss der Töne“. (S. 135).

Cello, stromabwärts.
Roman.
Klagenfurt: Drava Verlag, 2011.
200 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-85435-651-6.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 07.11.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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