#Roman

Cant lässt grüßen

Alois Brandstetter

// Rezension von Bernd Schuchter

Verschwurbelte Altherrenprosa?
Alois Brandstetters artifizieller Roman Cant läßt grüßen.

 

Alois Brandstetter hat mit Cant läßt grüßen ein seltsames Buch geschrieben. Es ist ein Briefroman in einem Brief eines Sekretärs – oder Amanuensis, wie Brandstetter erklärt – an eine Klagenfurter Tochter aus gutem Hause, die in Liebesnöten steckt. Genauer ist es der Antwortbrief im Auftrag seines Herren auf zwei Briefe der Dame. Die Tochter heißt Maria von Herbert und der Adressat ihrer Briefe ist kein geringerer als Immanuel Kant, der große deutsche Philosoph aus Königsberg.

Das ist die leicht lustige Ausgangslage für einen Roman über die Philosophie, die alten Zeiten und die Liebe, besonders die Liebe, betrachtet aus der Sicht des bekennenden Zölibatärs, als welcher Kant in die Philosophiegeschichte einging. Sein Verhältnis zur Frauenwelt als Hagestolz ist fast genauso sprichwörtlich wie die Dickenwitze über Thomas von Aquin. Aber man sollte es anders erzählen, etwa: Was ist das Ding an sich? Das Ding an sich hat 235 Seiten, ist fest gebunden und zeigt als Umschlagbild einen Brief nebst Namen des Autors und Titel des Buches. Zwischen den Deckeln liegt der Versuch einer philosophischen Annäherung an Kant und Goethe und sonstige Geistesheroen vergangener Zeiten bis hin zu „pointierten“ Querverweisen in die Gegenwart. Verstanden, ja? „Pointiert“ und „Gegenwart“, bis hin zu etwaigen Lebensmenschen und Zuständen in der Provinz, in Caranthanien, dem südlichsten Zipfel Österreichs. Aber warum diese Chiffre, diese verschwurbelte Codierung und Setzung ins 18. Jahrhundert. Wozu diese Metaebenen, diese Anspielungen und Zitätchen, die oft nur eines sind: beflissen, bildungsbeflissen und ein wenig umständlich.

Es beginnt ja schon beim Amanuensis, ein Ausdruck, den Brandstetter in einer Art Vorrede erklärt. Ein A. ist „wörtlich übersetzt, einer, der einem Professor „zur Hand geht“.“ (S. 6). Brandstetter geht nun nicht nur Kant, sondern der ganzen Philosophiegeschichte zur Hand, denn die philosophische Hausapotheke, die in Cant läßt grüßen am Leserpodium vorbeidefiliert, ist die eklektizistische Essenz der abendländischen Philosophie, vielleicht auch nur der zweiten Hälfte.

Verschwurbelt auch der Stil: Brandstetter lässt den Gehülffen in einer Kunstprosa parlieren, in der jedes zweite Wort, das sey altherthümlich und frey von der Lebber weg geseyt, erklärt wird, vordergründig um dem etwas unterbelichteten Fräulein aus Klagenfurt verständlich zu sein. Hintergründig weiß man nicht. Vielleicht ist es einfach ein Spiel mit der Sprache, oder das Sammeln seltsamer Wörter ein Hobby, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Die alten Worte!
So ist Cant läßt grüßen eben auch ein Kompendium seltsamer Wörter in Klammern, etwa: „bornirt (verbohrt, versteinert)“ (S. 44), „fundiren (begründen)“ (S. 69), „informirt (unterrichtet)“ (S. 102), „emancipirt (mündig gemacht)“ (S. 39) usw. usf.
Das geht so auf jeder Seite des Buches, und erst die Bildungspassagen, die ja seit Daniel Kehlmanns Schelmenstück auf Humboldt wieder en vogue sind: „[…] aber nicht coram publico (im Angesicht der Zuseher) auf dem Marktplatze, […]“ (S. 38).
Das scheint allen Ernstes humorvoll gemeint zu sein und man ist an die Bücher des DDR-Schriftstellers Hermann Kant erinnert, der für solch sprachliche Aperçus berühmt war, wenn er etwa in seinem Roman Kino (2003) unzählige Synonyme für das Wort „Schlafsack“ verwendet (u. a. „Nylongehäuse“, „kunstseidener Kokon“ oder „Polyamidfaserbeutel“)

Ein anderes Thema ist das Widerspruchspaar Kant-Goethe, das im ganzen Buch gepflegt wird. Kant der rationale, trockene Philosoph, Goethe der leidenschaftliche Poet, wie Hund und Katz die beiden. Warum denn ausgerechnet Goethe! Seit Martin Walsers Ein liebender Mann häufen sich Bücher mit Goethe, alter Mann-junges Mädchen, alter Mann und die Liebe. Dabei bräuchte Alois Brandstetter diesen Widerpart wirklich nicht, die Philosophen genügten sich selbst.

Aber zu den Dingen!, wie die Phänomenologen sagen. Recht früh in Cant läßt grüßen steht der Satz: „Warum ist etwas und nicht vielmehr nichts?“ (S. 25). Der zentrale Satz der abendländischen Philosophie! Nie wieder werde ich auf Partys diesen Satz sagen und mich an Weinglas und Rollkragenpullover festhalten können, im Reclam nachschlagen und Asche von der Schnürlsamthose abklopfen, ohne ein Nicken zu ernten und: „Ah, Brandstetter.“ Mmmh, werde ich sagen und mein Philosophieren an den Nagel hängen.

Solange das Obige nicht bewiesen ist und also evident, kann auch das Gegenteil wahr sein. Wahr ist jedenfalls, dass Alois Brandstetter nach wie vor sprachlich schöne und humorvolle Romane über verquere Themen schreibt und Cant läßt grüßen äußerst lesenswert ist. Nach Zu Lasten der Briefträger ein weiterer briefaffiner Roman, ein Kunststück zeitgenössischer Prosa. Brandstetter gelingt mühelos der Bogen zur Moderne, mit Seitenhieben auf die 68er, diese „moralisch schwachen Männer“ (S. 149), die Schweiz (S. 170), die „Seitenblickegesellschaft“ (S. 83) oder wie beschrieben auf das politische Kärnten der Jetztzeit, etcetera.

Schade vielleicht, dass Cant (was uns dann wieder an Hermann Kant und vielleicht noch an Wilhelm Genazino denken lässt) in einer Tour „schmunzelt“. Wer so viel schmunzelt, hat vermutlich wirklich keinen Humor.
„Die Welt sey alles, was der Fall und fällig ist, und der Weg sey das Ziel, sagte Cant schmunzelnd“ (S. 133). Sagt Kant, sagt Wittgenstein, sagt Brandstetter, sagt weiß Gott wer auch immer.

Alois Brandstetter Cant lässt grüßen
Roman.
St. Pölten, Salzburg: Residenz, 2009.
235 S.; geb.
ISBN 978-3-7017-1526-8.

Rezension vom 12.01.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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