#Sachbuch

Buchpreisbindung in Österreich

Bernhard Tonninger

// Rezension von Gerhard Ruiss

In einer Hinsicht streben selbst die entschlossensten Betreiber der Ablöse des Buchs durch das E-Book keine Ablöse an: In seltener Einigkeit stimmen der Einzel- und Filialbuchhandel mit dem elektronischen Buchhandel, Buchverlage mit E-Book-Herstellern, Interessenverbände und gesetzliche Vertretungen – ob Autoren, Verlage oder Buchhandelsunternehmen – mit dem Gesetzgeber über die Notwendigkeit des Festen Ladenpreises von Büchern überein. Das sah Mitte der 1990er Jahre noch ganz anders aus. Der Diskont-Buchhändler Libro klagte gegen die Wettbewerbsbeschränkung durch den Festen Ladenpreis, der damals durch einen „Sammelrevers“, einen privatrechtlichen Vertrag geregelt war; in Deutschland stand eine ähnliche Entwicklung bevor, und in Großbritannien hatte die Selbstaufgabe eines ebenfalls privatrechtlich geregelten Festen Ladenpreises zur Preisfreigabe geführt.

Nun liegen gleich zwei aktuelle Publikationen vor, die auf diese Entwicklung der zu erwartenden Preisfreigabe in allen EU-Ländern eingehen, sie in ihren relevanten rechtlichen Einzelheiten nachvollziehen und auf die publikationsgeschichtlichen und kulturpolitischen Umstände der Buchpreisbindung Bezug nehmen. Beide Bücher sind für ein mit Fragen des Buchhandels und Verlagswesens befaßtes Publikum als Informationsquelle und Nachschlagewerk unentbehrlich. Die weniger umfassende erste Buchveröffentlichung zur gesetzlichen Buchpreisbindung im deutschen Sprachraum, Buchpreisbindung in Österreich, Praxiskommentar zum Buchpreisbindungsgesetz von Bernhard Tonninger, dem von der Wirtschaftskammer Österreich seit 2005 eingesetzten österreichischen „Preisbindungsanwalt“, ist der aktuellen Situation der Buchpreisbindung in Österreich, den damit verbundenen praktischen Fragen und dem vorläufig letzten rechtlichen Konflikt um den Festen Ladenpreis gewidmet, bei dem es zunächst um das verbilligte Angebot von importierten Büchern durch Libro und in weiterer Folge um die Zulässigkeit der Regelung des grenzüberschreitenden Handels mit Büchern im österreichischen Buchpreisbindungsgesetz ging.

In seltener Zügigkeit und Einmütigkeit hat der österreichische Gesetzgeber 2009 das in diesem Punkt nicht mit den europäischen Rechtsnormen übereinstimmende österreichische Buchpreisbindungsgesetz adaptiert und den europäischen rechtlichen Anforderungen für den grenzüberschreitenden Handel angepaßt. In der Ursprungsregelung konnten die österreichischen Importeure den Ladenverkaufspreis festlegen, der den festen Ladenpreis im Herkunftsland nicht unterschreiten durfte, nach der nunmehr geltenden Regelung können nach Österreich liefernde Verlage einen eigenen österreichischen Mindestpreis festlegen, der von den Importeuren bei der Preisfestlegung nicht unterschritten werden darf.

Die Gliederung des Bandes ist übersichtlich, die Kopfzeile jeder Seite dient zur Orientierung, bei welchem Paragraphen des österreichischen Buchpreisbindungsgesetzes man sich beim Lesen gerade aufhält; im Fließtext folgen auf den Paragraphenwortlaut die einzelnen Begriffserklärungen nach Stichwörtern. Dadurch ist auch juristisch weniger vorgebildeten Leserinnen und Lesern ein rascher und informativer Erstzugang zu den auftauchenden Fragen im Zusammenhang mit der Buchpreisbindung und der bisherigen Rechtspraxis im Umgang mit dem österreichischen Buchpreisbindungsgesetz möglich. Im Anhang findet sich überdies als Zusatzservice das „Gesetz über die Preisbindung für Bücher in Deutschland“ im Wortlaut.

Die umfassendere Publikation „Buchpreisregelung in Europa, Kulturpolitik und ökonomische Bedeutung“ von Hanspeter Hanreich, Hermann Kuschej und Günther Grohall des Instituts für höhere Studien Wien liefert das Zahlenmaterial, die Argumente, den Hintergrund und die Übersicht über die Ausbreitung der Buchpreisbindung in Europa. Neben Österreich und Deutschland verfügen derzeit in Europa folgende Länder über gesetzliche Buchpreisbindungen, wobei das österreichische Buchpreisbindungsgesetz aus dem Jahr 2000 das Vorbild für das deutsche Buchpreisbindungsgesetz 2002 war: Frankreich mit seinem Loi Lang (nach dem legendären französischen Kulturminister Jaques Lang benannt) aus dem Jahr 1981, das wiederum das Vorbild für das österreichische Buchpreisbindungsgesetz war, die Niederlande seit 2005, Spanien seit 2007 mit fragmentarischen Vorläufern seit 1975, Italien seit 2005 und weiters Griechenland und Portugal.

Buchpreisbindungsregelungen auf privatrechtlicher Basis bestehen in Dänemark, Norwegen und Ungarn. Den festen Buchpreis aufgegeben haben Großbritannien 1995, die Schweiz 2005, Belgien 1984 und Schweden 1970. Ein ausführlicher statistischer Teil über die österreichische Buchproduktion bis zum Lese- und Konsumverhalten (mit Umsatzzahlen, der österreichischen Außenhandelsbilanz mit Waren des Buchhandels, Buch-Sonderaktionen wie der Schulbuchaktion, mit Fördermaßnahmen und Struktur- und Preisvergleichen) beweist zwar weder das augenblickliche Zusammenbrechen der Verlags- und Buchmärkte ohne Buchpreisbindung, noch nur blühende Verlags- und Buchlandschaften bei vorhandener Buchpreisbindung. Ein paar Kennzahlen sagen aber doch, warum die Entscheidung für eine gesetzlich geregelte Buchpreisbindung die richtige Entscheidung war. Österreich hat eines der dichtesten Einzelbuchhandelsnetze Europas und verfügt sowohl von der Zahl der Verlage als auch von der Anzahl der verlegten Titel her über ein zunehmend attraktiveres, von staatlichen, kommunalen und körperschaftlichen Eigentümern unabhängiges, ständig wachsendes Verlagswesen. Die größte Stärke der österreichischen Buchpreisbindung ist aber wohl, daß Bücher von 2000 bis 2007 gemessen am Gesamtindex um 10 Prozent billiger geworden sind, während beispielsweise die Preise für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke gegenüber dem Gesamtindex um ein paar Prozent zugenommen haben. In diesen statistischen Teil werden internationale Beispiele allerdings nur noch vergleichsweise einbezogen. Schließlich und endlich ist das Ziel auch dieser umfassenderen Publikation die Grundlagenbildung für die weitere rechtspolitische Diskussion.

Ein wenig schade, aber dem Zweck der beiden Publikationen eben nicht angemessen, ist der Verzicht auf die Darstellung der Begleiterscheinungen des Konflikts in der Entstehungsphase der Buchpreisbindung in Österreich und Deutschland, die ein Lehrbeispiel für politische Meinungsbildung und die Entwicklung von gesetzlichen Rahmenbedingungen sind. Im Jahr 2000 sagte in einer ersten Festlegung der damalige neue Kunststaatssekretär Franz Morak die Umsetzung einer österreichischen Preisregelung bei Büchern ab, die von seinem Vorgänger Franz Wittmann mit großem Einsatz gegen den Willen der Wettbewerbsdirektion der EU und sogar gegen die Interessen der eigenen Regierungsmitglieder vertreten wurde, nach heftigen Protesten nahm er diese Absage zurück und setzte sich in weiterer Folge für eine Befristung der Buchpreisbindung und für eine Online-Ausnahmeregelung ein, nach dem Scheitern dieser Beschränkungen der Buchpreisbindung wurde das Buchpreisbindungsgesetz zum größten von niemandem in Frage gestellten Erfolg seiner von 2000 bis 2006 dauernden Amtszeit, in der er nicht nur 2004 für die unbefristete Fortsetzung der im Jahr 2000 geschaffenen gesetzlichen Buchpreisbindung eintrat, sondern auch dazu beitrug, daß sowohl seine Fraktion als auch die Fraktion des Regierungspartners der Beibehaltung der Buchpreisbindung – wie zuvor schon die Fraktion seines Vorgängers – ohne jede Einschränkung zustimmte. Alle fünf österreichischen Parlamentsparteien haben sich 2009 bei der letzten Novellierung des österreichischen Buchpreisbindungsgesetzes zur umfassend dauerhaften gesetzlichen Regelung des Festen Ladenpreises von Büchern bekannt.

Obwohl sich aus einer solchen Regelung selbstverständlich auch der eine oder andere Schwachpunkt ergibt, wenn beispielsweise ein Endabnehmer mit Marktmacht Verlage zu entweder größeren geschluckten Rabatten oder zu einer anderen Preispolitik zwingen kann oder billigere Nebenangebote „von Privat zu Privat“ im Onlinebuchhandel den Festen Ladenpreis unterlaufen, insgesamt hat die Einführung des gesetzlichen Festen Ladenpreises den Büchern ein Schicksal erspart wie es der Tonträgerhandel in den letzten Jahren erlebt hat: ein breitgefächerteres Angebot in Handelsgeschäften war vor dem Einsetzen der Bezugsmöglichkeiten per Download kaum noch zu finden. Deshalb arbeitet derzeit der Französische Gesetzgeber auf Grund des frühen Entstehungsdatums des französischen Buchpreisbindungsgesetzes 1981 an einer Ergänzungsregelung für E-Books, um den Buchhandel vor einer ähnlichen Entwicklung wie der am Musikmarkt zu bewahren: „Dem Buchhandel soll es nicht so gehen wie dem Musikmarkt, der von branchenfremden Akteuren bestimmt wird, stark kommerzialisiert ist und die kulturellen Werke in der Wertschöpfungskette zu einem Lockartikel degradiert hat.“
(Buchreport, 11.11.2010)

Bernhard Tonninger Buchpreisbindung in Österreich
Praxiskommentar zum BprBG.
Wien: Lexis Nexis, 2010.
114. S.; brosch.
ISBN 978-3-7007-4526-6.

Hanspeter Hanreich, Hermann Kuschej, Günther Grohall Buchpreisregelung in Europa.
Kulturpolitik und ökonomische Bedeutung.
Wien, Graz: Neuer Wissenschaftlicher Verlag / Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, 2010.
171 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-8305-1844-0.

Rezension vom 29.11.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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