#Prosa

Bruchharsch

Markus Köhle

// Rezension von Judith Gröller

Firn, Harsch, Sulz, so heißen vorwiegend in den Alpenregionen, gebräuchliche Bezeichnungen für verschiedene Schneearten. firn, harsch und sulz nennen sich aber auch die drei Zyklen im neuesten Buch des als Poetry Slammer bekannten Autors Markus Köhle. Der aus Tirol stammende und in Wien lebende ‚Allrounder‘ Köhle ist neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch Rezensionsredakteur, Kolumnist sowie Organisator des monatlichen Bierstindl Poetry Slam in Innsbruck, Mitbegründer der Lesebühne Dogma. Chronik. Arschtritt. im Wiener Schikaneder und Mitarbeiter des internationalen Literaturfestivals Sprachsalz in Hall.

In Bruchharsch versammelt er die irrsten (aber in ihrer durchkomponierten Absurdität wieder Sinn machenden) Montagetechniken, produziert die sinnlichsten, den Wortsinn unterlaufenden Wortschatzerweiterungen und steht mit seiner Experimentierfreude in der Tradition von Jonke, Pastior oder Schwab. „Prosa“ steht am Cover und diese bleibt langstreckentechnisch gesehen wohl auch die favorisierte Form Köhles, wobei – wie in des Autors früheren Schriften – die lyrisch daherkommenden Poetry Slam-Einschübe ein wesentliches Element ausmachen und den Text nicht zu prosalastig werden lassen.

Nun zum ‚Inhalt‘: Natürlich kann bei Köhles Text von einer nacherzählbaren Handlung nicht die Rede sein, auflösende Tendenzen machen auch vor dem Inhalt nicht Halt.
Vielmehr löst hier einer eine Wortlawine aus, tritt einer zum Spiel, ja an einigen Stellen mitunter zum Kampf an, um die Grenzen der sinnlichen, sinnreichen und sinnlosen Sprachmöglichkeiten auszuloten und diese im selben Moment wieder außer Kraft zu setzen. Auch vor selbstdarstellerisch anmutenden Offenbarungen schreckt er nicht zurück: „So wie ich war, war ich ihr nicht genug. Wie ich sein soll, kann oder will sie mir nicht sagen. Sie weiß nur, dass es besser vorbei sei. Ich weiß nicht mehr weiter. Ich höre Stimmen und führe Selbstgespräche.“

Selbstgespräch ist das Stichwort: Was im Prolog anmutet wie eine der üblichen Beziehungsstory-Tragödien entpuppt sich als avantgardistisches Monologisieren des Pop-Autors, oder treffender: „als ein Interview mit, gegen und für sich selbst“. Mit viel Komik, Klamauk und Kritik werden hier Alltagssituationen eines Schriftstellers grotesk verzerrt, so manches spitzfindig überspitzt, auf- und ausgereizt, mehr oder weniger subtile Gesellschaftskritik betrieben: „Skandal! Einspruch – Eisbruch! Auf den Spuren von Fern von Europa und mein grüner Finger steckt mitten drinnen in der Scheiße. Trottel auf der Terrakottainsel, Wahlschlappe für die Wahlschlappen.“ All dies alles wird von einem deftig-derben Humor untermauert: „Der fixe Autorenstamm hat Pech in sich. Schoß – Chose – Schöße. Moos – Moose – Möse. Reine Rose rein? Nein raus. Aus.“

Dabei fallen Ähnlichkeiten zu dem Berliner Popliteraten und Lesebühnenstar Uli Hannemann auf, der – in ähnlich wahnwitziger Manier den Alltag überhöhend – eigenwillige Pointen setzt und dabei niemals vergisst sich selbst auf die Schaufel zu nehmen. Die drei bereits oben erwähnten Textabschnitte firn, harsch, sulz stehen programmatisch für die Stilbrüche und Diskontinuitäten und damit einhergehenden Überraschungsmomente des Textes. Höhepunkte dieser Lektüreglücksmomente finden sich – wie oft im Leben auch – in der lustvollen Beschreibung der Leiden anderer, etwa im dritten Teil, sulz, wo die 14 Kreuzwegstationen der Passion Autoris karikiert oder die bittersüße Niederlage eines Flirtversuchs dokumentiert werden.

Mögen Köhles Ideen auch nicht immer reibungslos aufgehen und sich teilweise in hechelnder Kurzatmigkeit verlieren, so sind sie doch von einer brennenden Intensität, um jedes einzelne Wort ringend verfasst, sodass die nicht immer glatt laufendende Rotation des Textes das Endergebnis wieder stimmig macht. Einzige Kontinuität dieses Werkes bleibt dessen Diskontinuität. Der Text gibt niemals vor eine feste, einheitlich gefrorene Schicht zu sein; es ist eben Bruchharsch, bei dem darunter, darüber und daneben liegende Textschichten pulverartig bleiben. Immer wieder wirbeln diese Schichten im Sinnschnee durcheinander, brechen auf, brechen weg und machen Platz für Neues, das entsteht und dabei für berauschend lustvolle Bluff-Effekte sorgt, mitunter stockt einem der Atem bei der horrend mitreißenden Geschwindigkeit, die sich während der Lektüre aufbaut.

Einheit, die gibt es nicht und das ist gut so. Es sei an die Worte Ernst Blochs nach einer Lesung Konrad Bayers erinnert: „Und die Sphären sind eingestürzt, das Verabredete hört auf.“

Markus Köhle Bruchharsch
Prosa.
Innsbruck, Bozen, Wien: Skarabaeus, 2009.
142 S.; brosch.
ISBN 978-3-7082-3295-1.

Rezension vom 27.04.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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