Ebenso ungewöhnlich: dass Poemen ein Geleitwort beigegeben ist. Walter Grond macht in seinem Kurzessay, der den Gedichten vorgeschaltet ist, auf das Visuelle, das Taktile der Zillnerschen Poeme aufmerksam – naheliegend bei einem auch als Künstler Tätigem wie Zillner – und anderseits auf die verschränkende Durchdringung von Ich und Welt, von Schmerz und Schönheit, von Speer und Brot. Grond prägt zu Recht das feine Wort „Aufmerksamkeitssplitter“ für die selten wirklich langen Gedichte. Etwa für dieses, wie alle andren Texte ohne Titel und Überschrift:
Neben ihrer Stille tropft
der Rundmond ans Fenster,
sein Licht, eine Lacke, und
ihr scheues Lächeln im Glas. (S. 18)
Dies ist selbstredend eine Momentaufnahme, zugleich eine stille Evokation modernistischer Lyrikströmungen, vom Imagismus des frühen Ezra Pound bis zu den komprimierten Gedicht-Essenzen des jüngst 90 Jahre gewordenen deutschen Dichters Reiner Kunze.
Der aus Dornbirn stammende, seit Langem in Wien ansässige Maler, Dichter und Chefredakteur des Corporate Publishing-Ressorts eines über Wien hinaus strahlenden Wiener Stadtmagazins, promovierter Philosoph und einige Jahre in der Werbebranche tätig, malt seit der frühen Jugend und fing nach eigener Angabe erst mit über 40 mit der Poesie an. Ab 2004 legte er mit dem Versepos Spiegelfeld ein in der österreichischen Gegenwartsliteratur so einzigartiges wie ambitioniertes Werk vor, das er 2010 mit Band 8 abschloss.
Die Texte in Brot und Speer sind welthaltig. Da ist Landschaft karg, Natur dürr, es gibt Hütten und Äcker „mit Strandgut“ überschwemmt, „Hofbrunngeplätscher“ und „Spätherbstlaubverbläser“. Man liest von der Schattenburg zu Feldkirch, dem Inn bei Kufstein, vom Tobeldunkel der Ach wie vom griechischen Kloster Athos.
Über „den Zustand konzentrierter Naivität“ (Grond) – eines der besonders pointierten lyrischen Blitzlichter ist dies aphoristische Gespinst: Menschen der Vergangenheit / versprechen unsere Zukunft (S. 33) – geht Zillner hinaus, indem er zwei Eckpfeiler, so Grond treffend, in die lyrische Architektur einzieht: Homer und Emily Dickinson. „Emilieren“ nennt er das in der zweiten Sektion, einem Interludium, quasi Zwischenspiel mit Dichterin. Dabei handelt es sich um illustre Nachschöpfungen, um Anverwandlungen mittels Übertragung der hochmodernistischen Poeme Dickinsons, die ihrer Zeit, dem 19. Jahrhundert, weit voraus war.
In der dritten Sektion „Speer“ ändern sich mit dem ersten Gedicht Tonklang, Duktus, Bildumrisskraft. Als habe Dickinson als zwischengeschalteter Transformator gedient. Nun gibt es griechische Namen (Diomedes), es gibt aus der Zeit gefallene Objekte (Schild). Die Binnenstruktur neigt sich tendenziell stärker einem kunstvoll fließenden melodischen Pathos zu, geht es doch um Krieg und Konflikte, nimmt dann aber neuerlich Umwege zu Naturbeobachtungen von Größerem (Bergen) und viel, viel Kleinerem (Raupen, Totholz, Grünspan). Doch zwischen Reflexion und Beobachtung gibt es immer noch Dramatisches:
[…] Am Schild im Grauen
ein dumpfer Schlag,
die Speerspitze bricht. Aus den Wolken Groll. (S. 90)
So ist die Welt, staubig, vergänglich, wobei der Staub als lyrisches Zitat von Joseph Brodsky entliehen ist – Staub ist der Leib der Zeit, / schrieb der Dichter Brodsky, // er liegt im Raum verstreut, / um weggekehrt zu werden. (S. 93) –, um über Zeit und Unverständlichkeit, das Verrinnen der Zeit, das Denken, über Ängste und Schatten und deren verbal-emotionale Übergangsphasen im konkret erfassten Hier und Jetzt und Dort ein Poem zu Papier zu bringen; und auch das ist bei Zillner ein fast zeichnerischer Akt, schreibt er doch mit einem Bleistift, Abrieb von Graphit auf Papier.