Christine Lavants Briefpartner sind einem größeren Publikum seit der Affäre um Thomas Bernhards Roman „Holzfällen“ bekannt: Der jüngst verstorbene Komponist Gerhard Lampersberg und seine Frau Maja, eine Sängerin, unterhielten in den fünfziger und sechziger Jahren in Maria Saal ein wohlbestelltes, gastfreundliches Haus, den mittlerweile legendären Tonhof, in dem Komponisten, Maler und Schriftsteller – von H. C. Artmann bis Peter Turrini, von Jeannie Ebner bis Wolfgang Bauer – aus und ein gingen. Die Kärntner Landsmännin Christine Lavant wurde 1957 von Bernhard auf dem Tonhof eingeführt, der drei Jahrzehnte später in der Notiz zu einer von ihm bei Suhrkamp herausgegebenen Gedichtauswahl über seine Freundin sagte, sie habe „bis zu ihrem Tod weder Ruhe noch Frieden gefunden“ und sei „in ihrem christlich-katholischen Glauben zerstört und verraten“ gewesen.
Was Bernhard meinte, spricht auch aus Lavants Briefen, und das, obwohl sie ganz den Adressaten zugewandt und auf unkonventionelle Art herzlich sind. An Maja, die sie mit „mein liebs, liebs Mietzele“ tituliert, schreibt sie: „weißt, ich häng nämlich wirklich an Euch, besonders an Dir, und das hat an sich mit dem Tonhof nichts zu tun, den hab ich wieder ganz anders, ganz für sich selbst gern wie ein altes, altes Daheim. Aber ich tät Euch dann grad so gern haben, wenn Ihr irgendwo arme ‚Inwohnerleut‘ wäret, und deshalb bin ich so froh über Deinen lieben Brief. Es ist nämlich kein Getu oder ein Sich-rar-machen-wollen, wenn ich nicht von mir aus Euch heimsuchen will (…). Ich weiß nämlich, daß ich nur dann zu ertragen bin, wenn man mich mag.“
Obwohl die Lavant, recte Thonhauser, ihre Lebensnöte herunterspielt, werden sie aus diesen Briefen mehr als deutlich: Die eingesperrte Existenz in St. Stefan im Lavanttal, in der Einzimmerwohnung, die sie – wie dem kompakten Nachwort der Herausgeber zu entnehmen ist – mit ihrem Mann, dem Maler Josef Habernig teilt. Von ihm hat Christine Lavant sich seit ihrer innigen Beziehung mit dem Kärntner Maler Werner Berg offenkundig abgewandt. In ihrer Korrespondenz spricht sie vom Ehegatten stets per „Er“, „Habernig“ oder „Herr H.“, wogegen sie Bernhard „das Thomasle“ nennt.
Von Pflichten gegenüber ihrer armen Schwester und deren Kindern, vom Nicht-weg-Können und Sich-Verkriechen, von körperlicher und seelischer Krankheit, von Tabletten ist viel die Rede, und doch zeugt der Band auch von Lavants Vitalität und Humor, die sich gerade in ihrer ungekünstelten, betont dialektalen Ausdrucksweise manifestieren. „Kunst wie meine ist nur verstümmeltes Leben“ lautet der Titel einer älteren Text- und Briefsammlung. Auf ihr Werk kommt Christine Lavant in ihren Briefen an die Lampersbergs nicht zu sprechen, eine fundamentale Schaffenskrise wird nur beiläufig erwähnt. In all ihrem Unglück blüht sie aber in der Rolle der Ratgeberin und Trostspenderin auf, die sich in den Seelenzustand ihrer Freunde empathisch versenkt und eine (auch durch Gerhard Lampersbergs Alkoholsucht) mancherlei Belastungen ausgesetzte Ehe wohlwollend und mitfühlend begleitet.
Christine Lavants Briefe an die Lampersbergs sind natürlich ein Zeugnis für die besondere Treibhausatmosphäre, die Exponenten eines weltoffenen Kärntner Landadels für die zeitgenössische Kunst zu schaffen imstande waren (an Traditionen anknüpfend, von denen etwa auch ein Alexander Lernet-Holenia oder ein Michael Guttenbrunner zehrten). So gesehen, ist diese Publikation auch eine Art literarhistorische Wiedergutmachung für Thomas Bernhards unbarmherzigen Schlüsselroman. Und nicht zuletzt ein dringlicher Hinweis auf Christine Lavants lyrisches Werk.