#Prosa

Brauchbare Menschen

Magdalena Schrefel

// Rezension von Johanna Lenhart

Wach muss man sein, im besten Sinn, um Magdalena Schrefels ersten Erzählband zu lesen. Wach, um nicht das Wesentliche in diesen zwölf kurzen Erzählungen zu überlesen. Das Prosadebüt der in Berlin lebenden Autorin dreht sich um Arbeit, beklagt wird aber nicht die Praxis von ausbeutenden, prekären (Anstellungs-)verhältnissen in der digitalen Welt, wie es zurzeit so verbreitet ist. Vielmehr zeigt der Band, was Arbeit für unterschiedliche Menschen bedeuten kann – was nicht heißen soll, dass Ausbeutung nicht ein zentraler Punkt wäre. Arbeit wird hier allerdings nicht nur als Lohnarbeit verstanden, sondern eher als Lebenszustand, als Modus Operandi. Denn warum sollte nicht auch das Spielen an Automaten für eine Spielsüchtige oder das ‚Prokurieren‘ für Obdachlose eine Form der Arbeit darstellen? „Muss ja“ (S. 130), meint eine der Figuren zu Schichtbeginn lakonisch und das trifft auf alle Handelnden zu, sei es aus Notwendigkeit, sich den Lebensunterhalt zu sichern, oder einer anderen Form des Zwangs folgend: Brauchbare Menschen erzählt von den Möglichkeiten mit, wegen und trotz Arbeit zu leben.

Die zwölf Erzählungen bieten elf unterschiedliche Perspektiven, durch die man jeweils in eine andere Welt hineinsieht, ähnlich wie der Sicherheitsmann Alex in der Erzählung „Automatenglück“, der in einem Laufhaus die zwölf Zimmer der dort arbeitenden Sex-Arbeiterinnen und ihrer neuen Kollegin Gigi, dem Sexroboter, beobachtet: „Vierundzwanzig Stunden täglich flackert der Bildschirm vor ihm, zwölf Bilder für zwölf Zimmer.“ (S. 55) Auch Alex sollte wach bleiben, leider schläft er bei der Arbeit öfter ein, wodurch ihm Wesentliches entgeht. Die meisten der Erzählungen stehen wie die Bilder auf Alex‘ Fernsehwand für sich, durch die gelegentliche Verschränkung der Narrative, die immer subtil ist und die Lesenden nicht mit der Nase auf Zusammenhänge stößt, entsteht aus den einzelnen Geschichten aber nach und nach ein kleiner Erzählkosmos.

Die unterschiedlichen Perspektiven sind dabei nuanciert und abwechslungsreich, sowohl inhaltlich wie formal und sprachlich: Erzählt wird von Erntearbeiter/inne/n und dem sich selbst aufgebenden Bauern, von einer Demenzkranken, die ihre Nachbarin protokolliert und so beschränkten Halt im Leben findet, oder von der Angestellten eines Sicherheitsdiensts am Flughafen, die sich um geordnete Schlangen bemüht und dabei auf die Regeln besteht. So vehement beharrt sie in „Schlangestehen“ darauf, dass die Dinge ihre Ordnung haben müssen, dass sie darüber einer Kollegin in den Rücken fällt. Eine Ausnahme in den Erzählungen, denn sonst blitzen immer wieder Momente der Solidarität auf, etwa zu Gigi, der scheinbaren Konkurrentin im Laufhaus, oder zu Helga in der „Multimedia- und Elektronikabteilung“ (S. 131), die in „Weltuntergang“ als einzige den Abschiedsgruß eines überflüssig gewordenen Informatikers zu Gesicht bekommt.

In der letzten Erzählung – „Preisrede“ – erzählt Schrefel, die bisher als Theater- und Hörspielautorin in Erscheinung getreten ist und besonders mit ihrem Stück Ein Berg, viele (2019) für Aufsehen gesorgt hat, in der Form einer Preisrede vom Erwerbsleben einer Autorin. Eine Aufrechnung von bezahlten Arbeitsstunden mit (oft unbezahlten) erschriebenen Stunden, von Brotjobs mit der Arbeit als Künstlerin. Dabei fungiert „Preisrede“ auch als eine Art Schlüssel für den Erzählband. Die einen Preis entgegennehmende Autorin beschwört darin die Magie von Regeln, von Ordnung, und findet diese auch im Schreiben: „Denn selbst wenn ich nicht zaubern konnte, so kann ich doch noch immer wirksame Regeln aufstellen, und nichts anderes ist das Geschichtenerzählen: Man entwirft Welten entlang bestimmter Regeln, und dann erzählt man aus ihnen.“ (S. 166) Und zwischen diesen Welten, wie wir sie auch in den Erzählungen von „Brauchbare Menschen“ finden, vermittelt die Autorin „als Fährfrau, als Schleuserin“ (S. 179) und vielleicht auch als Arbeitsvermittlerin.

Schrefel versteht es, den Lesenden mit Präzision Lebenszustände nahe zu bringen. Die Figuren und ihre ‚prekären Arbeitsverhältnisse‘, wie das Schlagwort so schön lautet, werden aber nicht ausgestellt und ausgeleuchtet. Schrefel öffnet vielmehr Türen in ihre Wohn- und Arbeitszimmer und überlässt es den Lesenden, Schlüsse zu ziehen. Brauchbare Menschen ist ein vielversprechendes Erzähldebüt, das an den „Möglichkeitssinn“ (S. 180) glaubt, an die Macht der Literatur, von Wahrheiten zu erzählen, die in der Fiktion, „irgendwo kurz hinter der Wirklichkeit“ (S. 180) zu finden sind. Der Titel übrigens ist nicht (oder nicht nur) eine Anspielung auf Humankapital in Analogie zum ‚Nutzvieh‘, sondern ein Zitat aus einem Gedicht des Gugginger Autors Edmund Mach, das dem Band treffenderweise als Motto voransteht, und das zu schön ist, um es nicht in voller Länge zu zitieren:

„Manchmal sind brauchbare Menschen
in den Fabriken und arbeiten,
manchmal leben sie verzweifelt,
manche haben Striezel bei sich,
Striezel, die sie selbst essen.“

Brauchbare Menschen.
Erzählungen.
Berlin: Suhrkamp Verlag, 2022 (edition suhrkamp 2800).
183 Seiten, broschiert.
ISBN 9783518128008.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 15.03.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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