#Theater

Bohrende Fragen

Antonio Fian

// Rezension von Walter Fanta

Selten so gelacht!

Antonio Fian hat heuer bei Droschl den vierten Dramoletteband vorgelegt. Nach „Was bisher geschah“ (1994, nicht mehr lieferbar), „Was seither geschah“ (1998) und „Alarm“ (2002) nun Bohrende Fragen. Es wäre schlimm, würde Fian aufhören, uns Österreicher und unser österreichisches Leben mit seinen Dramoletten zu begleiten. Doch scheint keine Gefahr zu bestehen, Fians „Nachrichten in Echtzeit“ werden in beinah ausreichend dichter Folge im Standard abgedruckt. Dadurch scheint mir die unerlässliche Sichselbstvergewisserung der Bevölkerung und ihrer politischen Repräsentanten gewährleistet. Fian liefert „brauchbare Literatur“. Ich zahle zwar noch GIS, sehe aber so gut wie gar nicht mehr fern, Fians Dramolette genügen mir, wenn er so weiter macht, kann ich mich beim ORF-Gebührenservice abmelden.

 

1.
Was ist ein Dramolett? Das „kurze Bühnenspiel“, meint Meyers Lexikon Online, ein Minidrama, ein Mikrodrama. Da scheint ein Naheverhältnis zum Kabarett zu bestehen, zum Sketch, zur unterhaltsamen Verarschung der Tagespolitik, zum Villacher Fasching – aber Achtung: Fian ist gebürtig in Spittal an der Drau! Und für ihn sind seine Dramolette nicht „bloß ein witziger Kommentar oder, wie die dramatischen Texte der Journalisten, eine Glosse zur Tagespolitik“. Er sieht sich eher in der Tradition der Satiren eines Karl Kraus und des absurden Theaters eines Samuel Beckett. Das Dramolett sei mehr, „es nimmt für sich in Anspruch, eine eigenständige literarische Form zu sein, gleichberechtigt einem Gedicht, einer Erzählung.“ Entscheidend ist: das einzelne Dramolett steht für sich. Es muss in der Realisierung so sein: völlige Finsternis, lange, vielleicht zwei-drei Minuten, dann Scheinwerfer an auf der Bühne, das Spiel dauert auch zwei, drei Minuten höchstens, dann wieder drei, vier Minuten völlige Finsternis – wichtig! – es einwirken lassen. Fians Dramolette bieten im Unterschied zum Kabarett nicht Haut und Fleisch, sondern Scharniere und Knochen (nach einem Wort Musils). Mit Recht beansprucht Fian, ein Neubegründer des Dramoletts zu sein, weil seine Dramolette es fertig bringen, etwas sichtbar zu machen, das nicht an der Oberfläche sitzt, sondern ganz tief drinnen. Um noch etwas zur Gattung zu sagen, wie ich sie hier verwirklicht sehe, möchte ich die Prognose abgeben, dass Fian bestimmt noch einmal mit einem Band Aphorismen hervortreten wird, und zwar ‚gehämmerter‘ (Musil).

2.
Wenn Fian für seine Dramolette „Die letzten Tage der Menschheit“ als Vorbild in Anspruch nimmt, leuchtet das ein. Auch bei Karl Kraus steht die einzelne Szene für sich und die Dramolette Fians haben wie die Szenen im großen Drama von Kraus das ‚österreichische Antlitz‘ (Kraus) zur Referenz, ausgeweitet zu ‚Weltösterreich‘ (Musil), der globalen Perspektive: Denn es ist Krieg! Auch heute! Gewalt liefert den Dramoletten das Skelett, nämlich die alltägliche Gewalt und in der Endperspektive, in die alles mündet, so wie bei Karl Kraus, die globale Apokalypse. Das vorletzte Dramolett trägt den Titel „Bohrende Fragen“, mit dem der ganze Band versehen ist. Das Kriminalstück in drei Akten führt mit den minimalsten Mitteln eine Steigerung von der vermeintlichen TV-Krimi-Parodie bis zum Weltuntergangsszenario vor (vgl. Leseprobe), man lacht über das absolut Ernste. Innerhalb der österreichischen Wirklichkeit, die sich in den Dramoletten spiegelt, sind zwei Felder des öffentlichen Diskurses Dauergegenstand der Satire: der Politik- und der Literatur- bzw. Kultur-Betrieb. Fians Verfahren verwandelt unter der Hand Öffentliches in Privates und umgekehrt, wie in einer TV-Reality-Show, und travestiert öffentliche Personen zu (Witz-)Figuren. Die zu Grunde liegende Realität ist in vielen Fällen bereits Sprache: am Ende der Dramolett-Texte ist das ‚Material‘ angeführt: großteils Interviews aus Tageszeitungen. Im Feld der Politik bewährt sich das Verfahren zum Beispiel bei Altbundeskanzler Wolfgang Schüssel oder bei der unvergesslichen Ministerin Elisabeth Gehrer, aus dem Literaturbetrieb kommen Robert Menasse und (allerdings unter geändertem Namen und nur für Insider auf den ersten Blick erkennbar) Gerhard Roth zu Ehren. An der Dramolettfigur Menasse offenbart sich besonders schön das Prinzip der Verwandlung. Die Kunst des Verfassers und das Leser-Vergnügen bestehen in der Verwandlung des sich selbst wichtig nehmenden bekannten Autors in eine allegorische Figur des Sich-Selbst-Wichtignehmens. Dramolettschreiber und Leser gemeinsam erzeugen die kreative Fantasie davon, wie sich die öffentliche Person ‚off screen‘ benimmt; wir sehen Menasse beim Nießnutz seiner eigenen Rezeption zu („Robert Menasse sieht die Millionenshow“). Es hat etwas von Demaskierung, Wegreißen des Vorhangs, Entblößung im grellen Licht, aber eigentlich geht es den Dramoletten nicht um den Skandal, in all der Komik ist das alles eine grandios verkürzte Neuauflage von Musils “Seinesgleichen geschieht“, wo alle Ironie in angemaßter Bedeutsamkeit liegt und wo alles Geschwätz in das Bedürfnis nach Totschlag übergeht.

3.
Wann werden Fians Dramolette endlich gespielt, und zwar möglichst alle “Bohrenden Fragen“, der ganze Band, und möglichst in einem großen Theater? Der Zyklus ist ohne allen Zweifel bühnentauglich, wenn auch mit Stolpersteinen: Schwierig wird es in den Fällen, in denen das Spiel mit der geschriebenen Sprache den Witz ausmacht, wie in dem Dramolett „Am Radetzkyplatz (N/O), Den Wiener Verkehrsbetrieben gewidmet“. Und in einer für die Idee der Inszenierung selbstzerstörerischen Weise heikel dürfte es wohl werden, die real existierenden Personen auf die Bühne zu bringen, mit deren bloßen Namen (ASSINGER: Lesen Sie vül, Frau Magister?“) sich bei der Lektüre schon die ganze akustische Maske (Canetti) in der Vorstellung aufbaut. Das kann nur funktionieren, wenn Armin Assinger und Robert Menasse sich selbst spielen. Weil ich mir sicher bin, dass für die Burgtheaterinszenierung der „Bohrenden Fragen“ unter dieser Voraussetzung sehr viel Geduld und Einfühlungsvermögen erforderlich wäre, empfehle ich den Lesern, Fians Dramolette selbst zu spielen. Ich denke nicht unbedingt an Familienaufführungen, obwohl sich bei einigen Stücken auch das anzubieten scheint, sondern an das ‚innere Theater‘, bei dem die Verschmelzung zwischen der öffentlichen Person und der Dramolettfigur sich im Kopf vollzieht. Schüssel, Menasse, Assinger und die anderen haben das Buch wahrscheinlich schon, wer schenken muss, lege es sich selber unter den Weihnachtsbaum. Lachen ist bekanntlich gesund, außer es bleibt im Halse stecken.

Antonio Fian Bohrende Fragen
Dramolette IV.
Graz: Droschl, 2007.
191 S.; geb.
ISBN 978-3-85420-716-0.

Rezension vom 20.11.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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