#Roman

Böselkraut und Ferdinand

Franzobel

// Rezension von Petra Nachbaur

Ein Bestseller von Karol Alois.

Kurzfristige Bündnisse und spontan geschlossene Freundschaften sind beliebter Ausgangspunkt für Abenteuer, kleine textuelle Road-Movies. Die Erlebnisse von Schwein und Maulwurf in Kurt Bracharzs „Die Trüffelreise“ oder von „Sinclair Sofokles“, dem Baby-Saurier, und seinem Freund bei Friederike Mayröcker sind solche Beispiele in der österreichischen Gegenwartsliteratur.

Nicht zufällig sind beide der genannten Geschichten „Kinderbücher“, unter Anführungszeichen, da zumeist wohl eher „Kindsköpfe“ (siehe Widmung im neuen Franzobel) die Leserschaft stellen. Daß im Text dann auch einer der Beteiligten oft und gerne ein Kind ist, liegt aus Identifikationsgründen nahe. Zugleich aber bietet sich damit eine naive oder scheinbar naive Weltsicht an, ein literarisiertes Fragealter, eine philosophische Neugier und ein In-Frage-Stellen herrschender Normalität von Erwachsenenwelt und Gesellschaft.

Den neuen Roman von Franzobel hat ein gewisser Karol Alois (der verballhornte Anklang an Lewis Carroll ist programmatisch) „geschrieben“, wie uns das Vorwort mitteilt. Aloisens Text hat Franzobel dann „redigiert“ und „überliefert“ – ein Glück! Denn an manischem Wortwitz, an Kalauersucht und an Sprachrausch kann Alois mit Franzobel gut mithalten, wenn er sich auch gelegentlich einer literarischen Gebrauchsanweisung bedienen muß, „Arschfut“ genannt (pseudo-akronymisch für „Auch Romanschriftsteller fangen unten an“). Auszüge aus dieser hilfreichen Poetik und Kommentare des begabten Anwenders finden sich über den ganzen Roman verstreut in parenthetischen Einschüben.

Erzählt wird die Geschichte eines ungleichen Paares namens „Böselkraut und Ferdinand“, Böselkraut ein ganz und gar weltfremder hagerer Mann, der erst auf Seite 33 sein Ecce homo-Erlebnis hat, Ferdinand ein zeitgemäßes „Kid“ der aufgeweckten, überernährten Sorte. Gleich zu Beginn des Textes wird – gemäß Trick siebzehn: „genierst dich nicht, schreibst so einen Märchenschas, wo Feen vorkommen, Riesen, Zwerge, Kinder, Bildungsgut, liest ein bisserl was, streichst dir was zusammen, weil merken tut das keiner“ (S. 21f.) – ein Dialog zitiert, der auf ein anderes Duo „hagerer Erwachsener und Junge“ verweist und damit auf einen der literarischen Ahnen Franzobels, auf Elias Canetti.

Das kurze, „Die Blendung“ einleitende Gespräch zwischen Peter Kien und dem Jungen, der lieber ein Buch als eine Schokolade hat, entwirft eine Vergleichs-Matrix für Franzobels Gespann. Das aber dann der personellen Konstellation zum Trotz eher ein Stan und Ollie- oder Beavis and Butthead-Team ist, obwohl für den vollkommen unsozialisierten Böselkraut das Phänomen „Fernsehen“ gleich rätselhaft ist wie „Schuhe“, „Gott“ oder „Ehefrau“.

Dennoch könnten Canettis Kapitel „Ein Kopf ohne Welt“, „Kopflose Welt“ und „Welt im Kopf“ auch Pate stehen für die auf den Kopf gestellte Welt Franzobels, für das überdrehte, schräge Vorstadt-Wunderland. Im grotesken Weltkasperltheater kann der Autor seinen überquellenden Wortschatz ausbreiten und anhäufen, die Sprache ihrer Richtigkeit und ihres Rechts berauben, die „weisen Fragen“ des Kleinen Prinzen parodieren und zugleich aktualisiert und radikalisiert auf die Spitze treiben.

Von „fleckenlosem Deutsch“ (S. 87), wie es das Fräulein „Adrett Wedel“ spricht, kann bei Franzobel nicht die Rede sein. Die Flecken in seiner Sprache zeugen von sämtlichen Säften und dürften auch vom hochprozentigsten Sprachfleckenteufel nicht mehr zu tilgen sein. Daß so mancher Leser in diesem sprachlichen Flecken- und Fleckerlteppich die Orientierung und somit den Faden verliert, wird dem Autor bewußt, vielleicht auch egal gewesen sein.

Böselkraut und Ferdinand suchen „Knödel“, den verschwundenen Hund seines Herrchens. Bei dieser Tour stoßen sie selbstverständlich auf Hindernisse noch und nöcher, auf Kidnapperbanden, Zahnärzte und sonstiges Grauen, verwickeln sich immer mehr und gelangen schlußendlich doch erfolgreich ans Ziel. Franzobel gibt das klassische Inventar solcher Ausflüge auf der Jagd, auf der Flucht und irgendwo dazwischen: Realismus einerseits – Gasthausbesuch inklusive Konsum alkoholfreier Getränke („schwarze Cola“), Zirkus, Supermarkt („Eine Horde Mensch schob Wägelchen vor sich her, um sie mit allerlei Hauptwörtern zu füllen“, S. 146) -, andererseits immer wieder Abstürze in phantastische, psychedelische Gegenwelten.

Auch das ganz und gar nicht Jugendfreie hat seinen Stammplatz bei Franzobel, und er scheut vor dem Grob-Drastischen, Derb-Peinlichen nicht zurück (wie etwa in den sexuellen Phantasien der Scholastika Meier mit dem Schlagerstar Angelo Bicchio, dessen „Stinki, Stinki“-Atem sie noch mehr erregt als sein Hit „Klitori Klitora, die G-Punkterln sind da“). Natürlich ist, wie eben „Mädchen blöd“ sind, auch in Franzobels Text vieles einfach blöd, zu blöd und schön blöd und „a blede Gschicht“ – aber das soll einer einmal dem Karol Alois weismachen. covered by LEE HAZELWOOD

Franzobel Böselkraut und Ferdiand
Roman.
Wien: Zsolnay, 1998.
220 S.; geb.
ISBN 3-552-04897-9.

Rezension vom 12.03.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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