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Böse Spiele

Michael Stavaric

// Rezension von Daniela Strigl (Hrsg.)

Dieses Buch macht staunen. Michael Stavaric hat mit seinem vierten Roman einen Text vorgelegt, für den das Attribut „eigenwillig“ allzu bläßlich anmutet. In Böse Spiele versucht er nichts Geringeres, als mit der Sprache der Dichtung einen mythischen Kosmos zu beschwören oder vielmehr erst zu erschaffen, der zugleich seine Künstlichkeit nicht verleugnet. Der Roman beginnt wie eine gewöhnliche Dreiecksgeschichte. Da sitzen der Ich-Erzähler und eine Frau beim Essen in einem Lokal, als überraschend ihr Mann Robert auftaucht und eine geradezu vaudevillehafte Situation provoziert: Der Erzähler verschwindet für Stunden unter dem Tisch und muß sich die Gespräche des Paares anhören, Robert bemerkt nichts: „Und er beglich für uns drei, aber ihm fiel es gar nicht auf, nicht einmal das Wechselgeld wollte er nachzählen“.

Zugleich ist von Anfang an klar, daß der Autor weder an Slapstick-Effekten noch an einer Psychologie seiner Figuren interessiert ist, daß sie nicht für sich stehen, sondern Typen verkörpern. Michael Stavaric erzählt vom Krieg und vom Krieg der Geschlechter und von einer Vision (die zugleich eine Erinnerung ist), in der das eine sich vom anderen nicht mehr unterscheidet. Beschrieben wird eine zugleich moderne und zeitlos archaische Welt, ein Dschungel aus Plastikpalmen, in dem die Menschen mit der gleichen Selbstverständlichkeit zur Arbeit fahren, in Handys sprechen, Partys besuchen und mit ihren Kindern zum Arzt gehen, wie sie Katapulte in Stellung bringen, Pfeile abschießen, Morgensterne schwingen oder über die Folgen eines kriegsnotwendigen Kannibalismus spekulieren.

Dem Erzähler will es nicht gelingen, die „perfekte“ Frau, die bloß „sie“ heißt, dem ziemlich widerlichen Robert auszuspannen. „Sie“ erklärt ihrem trotz aller Anspruchslosigkeit frustrierten Liebhaber die Welt und die Frauen und macht dabei aus seinem Überflüssigsein kein Hehl: „Dass sie und ihr Kind keinen Mann brauchen, aber nicht Nein sagen, wenn sich einer verfängt.“ Dem, der sich verfangen hat, verrät sie aber auch, was er tun muß, um vom Zweitmann zum Alleinbesitzer zu avancieren: Er muß Robert töten. Und zwar nicht bloß effizient, sondern phantasievoll, sie hat da recht detaillierte Vorstellungen.

Freilich gibt es auch noch „die Andere“, das Landmädchen mit den sagenhaften starken Brüdern, mit dem sich das Projekt Liebe unter umgekehrten Vorzeichen betreiben läßt – sie vergöttert ihn, will ihn ganz und gar: „Dass keine Frau eine andere neben sich duldet und man alle Frauen haben kann, wenn man will, oder eine, aber niemals zwei.“ Schließlich gibt der Erzähler seinen Belagerungsposten auf Roberts Terrain auf und zieht zu seinem Naturkind. Am Ende kommt es zum angekündigten Krieg der Geschlechter, in einem buchstäblichen Sinn, die Waffen der Frau sind nun Spieße und Steine. Die Amazonen, in deren Reihen der Erzähler an der Seite seiner schönen Wilden quasi als Quotenmann kämpft, fordern die Macht der Männer heraus, die Erstfrau hat sich naturgemäß auf deren und Roberts Seite geschlagen.

Die Form, die Stavaric für diesen rohen Stoff gefunden hat, entfesselt eine Kraft, man könnte auch sagen: Gewalt, die etwas Verstörendes hat. Kann schon sein, daß sich hier der eine oder die andere sexuell belästigt fühlt. Böse Spiele ist die reinste Testosteronprosa, ihr Redegestus ist der einer Invasion, eines Griffs in den „Schritt“, wie es hier bevorzugt heißt, der nicht nur auf der inhaltlichen Ebene erfolgt, sondern auch auf der ästhetischen. Festzustellen, daß just die Gliedsätze sich selbständig machen, wäre vermutlich eine psychogrammatische Überinterpretation. Indem Stavaric fast durchgehend auf „inquit“-Formeln verzichtet, schafft er jedenfalls einen drängenden, hämmernden Rhythmus, der eine physiologische Deutung nahelegt.

Eine literarische Männerphantasie? Ja, aber eine mit universeller Reichweite. Fatalismus und aufklärerische Absicht sind hier kein Widerspruch: Gerade in der persiflierenden Verfremdung enthüllt das Mythos-Imitat die gar nicht so marginalen Restbestände mythischen Denkens in unserer Gegenwart, etwa in einer Anspielung auf den Irak-Krieg, dessen Rechtfertigung mühelos in das Reden vom Töten integrierbar scheint. Mag man Ton und Gestus auch als Attacke erleben – das Wagnis einer biblisch-mythischen Sprachmaske gelingt Stavaric auf berückende Weise. Mit halb einleuchtenden, halb hanebüchenen Weisheiten schärft er den Blick für die Gemeinplätze des Geschlechterdiskurses. Immer wieder wechselt die Rede des Ich zur Anrede eines Du – der einen oder der anderen Frau – das unvermittelt als Ich zu Wort kommt. Der Form des Epos entsprechen altertümliche Ausdrücke und wiederkehrende Wendungen. Mit der Ilias, die Stavaric in einem Motto zitiert, verbindet diese bösen Spiele von Mann und Frau zudem eine irritierende Amoralität: Das Töten wird zum Selbstzweck und interessiert zuvörderst in seiner handwerklich gelungenen Umsetzung. Die Drastik der Kampfszenen hat durchaus homerisches Format.

Der Schnürboden der Götter ist bei Stavaric leer, der Gott, den seine Figuren anrufen, erscheint als bloße Redefigur, seine Nichtexistenz wird gleich mitgedacht. Ein jeder ist immer schon verstrickt: „Es gibt keine Unschuldigen“, verkündet das bukolische Flintenweib. Leser und Leserin vernehmen’s mit wohligem Schauer.

Böse Spiele.
Roman.
München: C.H. Beck, 2009.
155 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-406-58240-0.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 20.04.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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