#Roman

Blutsbrüderinnen

Christa Nebenführ

// Rezension von Julia Danielczyk

Mädchen, die nicht wie ihre Mütter sein wollen, und dennoch erwachsen werden, haben es schwer. Christa Nebenführ zeigt in ihrem Entwicklungsroman Blutsbrüderinnen, wie zwei junge Frauen auch ohne weibliche Vorbilder groß werden und gemeinsam ihre Identität entwickeln.

Die Freundinnen Hermine und Elvira lernen einander in Wien in einem Mädchengymnasium kennen und verleben zusammen die Zeit der Adoleszenz bis ins Erwachsenenalter. In vier Kapiteln, die gleichsam auch Zäsuren in den Biografien der Mädchen bedeuten, erzählt Nebenführ schamlos – weil ohne zu beschönigen oder zu vertuschen – von der Suche der jungen Frauen nach ihrer Identität als lust- und auch qualvolle Erfahrung. Versuche und Spiele mit Geschlechterwechsel, homoerotische Erfahrungen, Neid und Allmachtsphantasien sind nicht auf die Phase der Pubertät beschränkt, sondern bestimmen die Freundschaft der beiden Mädchen von Beginn an. Auf der Suche nach ihrem persönlichen Anders-Sein bieten sich für die beiden keine weiblichen Vorbilder in der Literatur, anstelle dessen werden Old Shatterhand und Winnetou zu ihren Identifikationsfiguren. Karl Mays Geschichten einer unverbrüchlichen Freundschaftsbeziehung motivieren Hermine und Elvira auch zum Titel gebenden Akt: Wie ihre Vorbilder werden sie (wenn freilich nicht ganz so heldenhaft, sondern durch eine kleine Verletzung mit der Zirkelspitze) zu Blutsbrüderinnen.

Nebenführ gelingt es exzellent, weil nicht moralisch oder larmoyant, die innovative Kraft junger Frauen darzustellen, die sich jenseits konventioneller weiblicher Karrieren entwickeln. Sie müssen neue, eigene Wege für sich selbst als auch für ihre Freundschaften finden. Nebenführs Protagonistinnen sind „Blutsbrüderinnen“, weil sie nicht einem „Schwestern“-Klischee entsprechend ihre Sorgen, Nöte und Freuden teilen, um schließlich doch in erster Linie in der eigenen Familie verhaftet zu sein, sondern weil Elvira und Hermine als zwei eigenständige Frauen unabhängig von ihren Beziehungen und Familien ihre ganz spezifische Freundschaft zueinander haben. Dass dieses Unternehmen nicht ohne Schwierigkeiten funktioniert, ergibt sich einerseits aus einem gesellschaftlich begründeten Konkurrenzdruck, andererseits aus der Unterschiedlichkeit der Charaktere. Elvira, selbstsicher und ruhig, zieht ohne viel Aufhebens die Männer an, während Hermine zumeist selbst initiativ werden muss. Sie präsentiert jene Figur, an der sich die Autorin hauptsächlich entlang schreibt. Hermine ist die Orientierungslosere der beiden, sie überprüft an der Außenwelt ihr Denken und Fühlen, um im Laufe des Romans immer mehr zu ihren eigenen Bedürfnissen vorzudringen. Genau beobachtend beschreibt Nebenführ die daraus resultierenden Enttäuschungen und schmerzhaften Erkenntnisse. So erweist sich etwa Hermines Strategie, in Liebesbeziehungen viel-zu-geben-um-viel-zu-bekommen, schnell als Trugschluss. Mutig und schamlos nähert sich die Autorin an einen Kernbereich weiblicher Entwicklung und schildert Hermines und Elviras sexuelle Erfahrungen – mit Männern, aber auch miteinander. Klischees von jugendlichen Liebesromanzen zerlegt sie ebenso wie mädchenhafte Träume von Schauspielerinnenkarrieren. Die talentierte Hermine schafft trotz vollen Einsatzes die Aufnahme ins vielbegehrte Max-Reinhardt-Seminar nicht und studiert anstattdessen – vorerst nur als Übergangsphase gedacht – Theaterwissenschaft. Um sich Bühnenpraxis anzueignen, assistiert sie bei freien Produktionen. Doch auch die Vorstellung, dass es im Kulturbetrieb geschlechterneutral zugehe, zeigt sich als Irrtum. Patriarchale Strukturen dominieren die Szene. Hermine schließt sich der Maskenbildnerin Petra an, die mit ihren roten Haaren und grünen Augen für Hermine das Sinnbild homoerotischer Vorstellungen bedeutet. Auf ihrer Suche nach einem Ort der Zuneigung wird Hermine aber von Frauen wie von Männern gleichermaßen enttäuscht.

Hierin liegt auch die Stärke dieses Buches, Nebenführ misst ein idealisiertes Verständnis vom weiblichen Erwachsenwerden an der Wirklichkeit. Das ist zwar desillusionierend, aber oft auch amüsant, denn die Autorin bleibt durchgehend optimistisch. Mit viel Humor und Ironie versucht sie, die vielen Möglichkeiten des Zusammenlebens zu ergründen, und denkt in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen. Mit einem Racheakt der „Blutsbrüderinnen“ an der Kleinbürgerlichkeit ihrer Umgebung schließt Nebenführ recht makaber ihren Debütroman. Ihr ist nicht nur ein amüsantes, schamloses und zeitgemäßes Portrait unkonventioneller Frauen und Frauenfreundschaften gelungen, sondern auch eine Art literarische „Pionierarbeit“.

Christa Nebenführ Blutsbrüderinnen
Roman.
Wien: Milena, 2006.
245 S.; brosch.
ISBN 3-85286-138-1.

Rezension vom 09.01.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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