#Roman

Blutgasse

Thomas Askan Vierich

// Rezension von Martina Wunderer

Wie schön wäre Wien ohne Wiener!
So schön wie a schlafende Frau. […]
Keine Baustelln, keine Schrammeln,
und im Fernsehn kein Programm!
Nur die Vogerln und die Pferdeln
und die Hunderln und die Baüm‘.
Und wer durch dies‘ Paradies muß,
findet später als Legat
statt des Antisemitismus
nur ein Antiquariat.

(Georg Kreisler)

Wien und die Wiener: Der Wiener Schmäh, das Kaffeehaus, der Opernball, das Donauinselfest, der Prater, der Schweden- und der Heldenplatz – Wien dient Vierich nicht nur als Kulisse, die Stadt ist vielmehr elementarer Bestandteil seines neuen Kriminalstücks mit dem reißerischen Titel Blutgasse. Vierich trumpft mit berühmten Namen von Plätzen, Straßen und Kaffeehäusern auf, die es dem Leser ermöglichen, die literarisch entworfene mit der realen Stadt zu identifizieren. Leider beschränkt sich der Autor darauf, zu Klischees erstarrte Vorstellungen und Örtlichkeiten sowie stehende Phrasen zu bemühen. Vierichs Wien ist das Wien der Touristenführer und der bezahlten Stadtrundfahrten, die grobe Karikatur einer Stadt, kein lebendiges, facettenreiches Porträt.

Ob dies nun daran liegt, dass Vierichs Sprachrohr und Hauptfigur Alfred Brinkmann ein ‚Piefke‘, ein Deutscher ist, und als solcher naturgemäß blind für das besondere Kolorit der österreichischen Hauptstadt? Der Teilzeitjournalist Brinkmann, nebenberuflich Hobby-Restauranttester und „Frühstücksdirektor“ in der Immobiliengesellschaft seines Schwiegervaters, ist erst vor kurzem mit seiner Frau Cordula, einer erfolgreichen Kunstmanagerin, von Berlin nach Wien gezogen. Hier zieht er nun aus, die Spezialitäten der Österreichischen Küche zu erkunden. Zwischen Beuschel und Schnitzel teilt er zu seinem Vergnügen und zum Ärger seiner Frau kleine Seitenhiebe gegen die Wiener Bussigesellschaft aus, für die ein Auftritt in den „Seitenblicken“ und eine Schlagzeile in der nationalen Boulevardpresse das Maß aller Dinge ist. Und es ist ein denkbar schlüpfriges Parkett, auf dem sich die lokale Prominenz zum Jahrmarkt der Eitelkeiten trifft.

In den Hauptrollen des Schmierentheaters: der Baulöwe Willi Baric, genannt Betonwilli – ein Schelm, wer Böses dabei denkt und eine reale Person dahinter vermutet; dessen kapriziöse Tochter ‚BB‘ Barbara Baric, Kunstmäzenin und Konkurrentin des Vaters im Wettbewerb um den neuen Ostbahnhof; ihr Verlobter Ferdinand ‚Ferdl‘ Wagner, der neue Stern am österreichischen Architektenhimmel; Richard Blumenauer, Vorsitzender der Ostbahnhof-Jury, erfolgloser Architekt, bester Freund Alfreds und ehemaliger Liebhaber Barbaras in Personalunion; und schließlich der Jude Immanuel Grünsteidl, das schlechte Gewissen der Nation – gegen das Vergessen!
In den Nebenrollen: Cordula, Alfreds Frau, deren Vater Richard Pokorny, einflussreicher Immobilienverwalter und Anwalt der Baric-Bau, Grünsteidl senior, leider schon etwas dement, sowie Oberinspektor Gehrlinger und Inspektor Prokopetz von der Wiener Polizei, leider etwas schwer von Begriff. Außerdem ein halbseidener Privatdetektiv, ein unheimlicher Pistolenmann und ein nächtlicher Einbrecher.

Nun zur Handlung: Barbara Baric fühlt sich bedroht. Zuerst folgt ihr des Nachts ein vermummter Mann mit gezückter Pistole, dann terrorisiert sie ein unbekannter Anrufer, es wird in ihre Wohnung eingebrochen und ihr Auto manipuliert. Um Aufsehen zu vermeiden erstattet sie keine Anzeige, sondern engagiert Alfred, den Mann ihrer Freundin Cordula, als Leibwächter. Er soll sie begleiten und ihr persönliches Umfeld sondieren, in dem sie den Täter vermutet. Insbesondere ihren Vater hat Barbara in Verdacht, ihr Übel zu wollen, doch dann fällt ausgerechnet jener als Erster dem Unbekannten zum Opfer: Seine Leiche wird – wie passend – in Beton eingegossen aufgefunden. Auf dem Weg zu seiner Beisetzung erleidet Barbara beinahe dasselbe Schicksal. Doch wer steckt hinter all diesen Anschlägen? Ein verflossener Liebhaber? Ein Konkurrent der Baric-Bau? Oder liegt des Rätsels Lösung im braunen Sumpf der österreichischen Vergangenheit? Auf seiner Suche nach dem Täter verstrickt sich Alfred immer tiefer in ein Netz von Lügen und Intrigen und wird dadurch sogar selbst verdächtig. So verdächtig wie alle anderen auch.

Vierich kleckert nicht, er klotzt: Diebstahl und Bestechung, Mord und Totschlag, Generationenkonflikt und Geschlechterkampf, Antisemitismus und Deutschenhass – alles inszeniert in großem Stil. Als Vorbild, so legt der wiederholte Vergleich mit ihm nahe, dient niemand Geringerer als Raymond Chandler. Doch während Chandlers Romane um Philip Marlowe subtile Kunstwerke sind, ist Vierichs Blutgasse mehr ein Boulevardstück.

Thomas Askan Vierich Blutgasse
Kriminalroman.
Innsbruck, Wien: Haymon, 2009.
285 S.; brosch.
ISBN 978-3-85218-816-4.

Rezension vom 14.09.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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