Kaum ein Stück, in dem die Situation nicht eskaliert, in dem sich die Wut nicht brachial ihren Weg bahnt – auch, wenn der irre Haß letztendlich zur Selbstzerstörung führt und die Verhältnisse so bleiben, wie sie nun leider einmal sind. In „1000 Rosen“ aus dem Jahr 1990 klinkt Harry aus, weil sich privat verstärkt, was beruflich schief läuft. Der Modernisierungsverlierer verliert seine Frau an einen, der hoch hinaus will. Harry erledigt seinen Nebenbuhler mit der Kettensäge.
Aber ist es nicht nur die Handlung, die ruhig drastisch sein darf, es ist bei Gustav Ernst vor allem die Sprache, die zuschlägt und randaliert. Ernsts Texte sind angriffslustig, frontal, deftig bis zotig, sie sind von einer massiven Körperlichkeit. Oder wie der Essayist und Autor Franz Schuh über seinen Kollegen gesagt hat: Ernst geht „auf das Fleischliche der menschlichen Existenz und das ohne Sentimentalität“. Gustav Ernsts Stücke als Fleischbeschau und das Fleisch, das ist Sex, Crime & (Kultur-)politikkritik.
Der nun im Sonderzahl erschienene Sammelband mit Theaterstücken von Gustav Ernst (von 1979 bis 2003) umfasst 13 Stücke, ein sehr brauchbares zusammenfassendes und Gemeinsamkeiten erhellendes Nachwort vom Herausgeber Wolfgang Straub über Ernsts „physischen Theater-Furor“ und Auszüge aus den wichtigsten Kritiken. Man kann anhand der Stücke gut Ernsts Weg nachvollziehen vom realistischen Autor, der aber viel zu filmisch gearbeitet hat, um in seiner Zeit als Realist richtig rezipiert zu werden, zum ironischen Monologisierer kulturpolitischer Lächerlichkeiten und Bearbeiter alter Stoffe (etwa Wedekinds „Lulu“ oder Goethes „Faust“), die er in neue Deftigkeit einkleidet. „Faust“ ist bei Ernst ein in die Jahre gekommener Aktionist, ein Genußmensch, dem der Genuß im grenzenlos gewordenen Freiraum der Kunst zum Überdruß wird – und der den Gewaltexzess sucht. Ernsts „Lulu“ wird am Ende nicht von Jack the Ripper erledigt, sondern konsequenterweise kollektiv von ihren Männern.
Die meisten Stücke von Gustav Ernst haben einen unzügelbaren Rededrang. Einen unstoppbaren monologischen Hang zum Ausführlichen. Was Ernsts Texte fürs Theater schwierig und zugleich herausfordernd macht, ist seine Zwischenstellung. Klar, es gibt Figuren und nicht experimentelle Sprachflächen, aber die Sprache weiß mehr als ihre Figuren. Die Sprache wuchert, reißt Theoretisches mit sich und boxt sich frei von den Sprechern. Die Sprache wird dadurch in psychologischer Hinsicht unrealistisch, obwohl die Schreibhaltung durchaus realistischen Impetus zeigt.
Was Ernsts Theatertexte weiters schwierig macht, ist seine Neigung zum Monologischen – sie unterscheiden sich kaum von seinen jüngsten Prosapublikationen wie „Die Frau des Kanzlers“ oder „Crado“. Ernsts „Nach der Premiere. Satyrspiel in einem Guß“, ist der wütende Monolog eines Kritikers bei den Salzburger Festspielen, der natürlich nicht konkret über Kunst, sondern über das Buffet, die prominenten Gäste und zu viele Geschlechtsorgane auf der Bühne herzieht, was in dem schönen Satz von Uschi Glas endet: „Ich höre immer nur Sex, Sex, Sex! Als ob es nichts anderes gäbe“. Der Kritiker schlägt im Stück vor: „Dieser Satz, meine Damen und Herren soll das Motto der Festspiele werden“. Ernst nimmt damit natürlich die Fremdkritik an seinen eigenen Texten selbstironisch mit in den Text . Bereits in seinem Roman „Einsame Klasse“ von 1979 hat Ernst sich diesbezüglich selbst ironisiert und der Kritik den Wind aus den Segeln genommen. Angriff ist die beste Verteidigung. Und Selbstangriff ist manchmal noch effektiver. Gustav Ernst, der alte Profiboxer unter den Autoren, weiß das, wenn er in den Ring steigt. Insofern ist dieser Band auch so etwas wie das Zeugnis einer literarischen Boxkarriere.