#Prosa

Blues

Sylvia Treudl

// Rezension von Barbara Angelberger

Es hat sich ausgewalzt in Wien. Von der Südosttangente bis ins Kaffeehaus weht der Blues. Er erklingt in allen sieben Geschichten Sylvia Treudls, tönt vor allem in den Ohren der Frauen, die im Zentrum der einzelnen Texte stehen. Frauen, die Wunden vorsorgen müssen, die ihnen ein Mann zugefügt hat; die sich von einem Schlag erholen müssen, der Beziehung heißt.

Namen tragen die Frauen in der Mehrzahl der Geschichten nicht. Meist ist lediglich von einer „Sie“ die Rede. Erst Sie und Er, dann nur mehr Sie. Die wiederholte Konstellation legt nahe, daß es sich hiebei um eine Muster handelt, eine Regel: Erst ist es Liebe oder vielleicht doch nur die Rede von Liebe, an die beide glauben, dann ist bei Ihm keine Liebe mehr und Er geht weg: „[…] die Schuhe hatte sie bekommen und auch ein blaues Herz aus einem lapisfarbenen Stein und eine grellfarbene Lüge dazu: Für den Schritt einer Königign, die immer zu mir zurückkehren soll, wo sie auch sein mag, das eine, für die Treue meiner Liebe zu ihr das andere.“ Der Stein und die Schuhe sind geblieben.

Weggehen oder besser fliehen wird auch Max aus der Erzählung „Feuer am Dach“, die sowohl sprachlich als auch thematisch aus dem Rahmen fällt. Max‘ Freundin, die Moni, ist jünger als die Frauen der anderen Geschichten. Sie ist erst siebzehn und kann sich deswegen noch nicht so gut wehren, sie hängt noch an der Illusion von der großen Liebe, von der die anderen sich gerade verabschieden. Moni glaubt, daß, wenn sie sich sehr bemüht, zwischen Max und ihr alles bestens wird. Sie glaubt, daß schneller Sex im Wald, den sie nicht will, große Leidenschaft bedeute, weshalb sie ihn dann doch wollen will. Mit Max, der so besonders ist, so mutig. Deshalb zündet Max auch die Fabrik an, in der Ausländer und Ausländerinnen untergebracht sind, die vom ganzen Dorf gehaßt werden. Moni weiß das nicht, sie weiß auch nicht, daß Max in Wien untertauchen wird, bei Herta, seiner anderen Freundin.

Trotz des Schmerzes und der Wehmut, die sie empfinden, wollen sich Treudls Frauen mit Tristesse allein nicht zufrieden geben. Nach der Rückschau auf das Vor- oder besser Auseinandergefallene wird Sekt getrunken und Rache ersonnen, gern auch mal die Schlampe rausgekehrt. Die Retrospektion jedoch findet ohne Analyse statt. Die Frage, ob denn wirklich alle Männer Schattenfiguren sind, und falls nicht, warum die Frauen trotzdem immer an diese Windeier geraten, wird dabei nicht gestellt. Der Schwarz-Weiß-Stift malt plakative Typen aufs Papier, Gut und Böse sind klar verteilt.

Weil die Frauen stark sind und die Männer schwach und feig, ist für die Frauen die Trennung vom Mann auch ein Schritt, der sie stärker macht. Sie können sich wieder auf sich selbst konzentrieren, müssen nicht das Verhalten ihrer Männer interpretieren. Darum ist der Erzählton denn auch kein resignativ-gebrochener. In Treudls Kino der großen Gefühle kann mit flapsigen Texten gearbeitet werden, mit Kalauern, mit Ironie, mit Zynismus. „Mürzzuschlag. Zurückschlagen. Schlagring. Ehering.“ Als eine verlassene Sie sich vor Schmerzen krümmt, heißt es lapidar, daß das Unglück am liebsten im Magen wohnt und von dort Tagesausflüge in alle erreichbaren Regionen macht. Ironische Brechung schafft Sylvia Treudl auch mittels Zitat und Anspielung. Bahnwärter Thiel steht bei einem Schranken der Semmeringbahn, „alles fließt“, als eine Sie sich in Tränen auflösen will, und daß Literatur dem Menschen zumutbar ist, lesen wir in der Geschichte, in der sich eine Schriftstellerin zum Klassentreffen aufmacht. Neben diesen Wendungen aus dem Schatzkästchen des Literaturkundeunterrichts finden sich Textverweise auch aus der Populärkultur. Songzitate werden jeder Geschichte als Motto vorangestellt und auch in die Texte verwoben. Paßt ja auch gut zum Titel der Sammlung. Blues. Möglicher Untertitel: Love hurts.

Blues.
Geschichten.
Wien: Milena, 1999.
139 Seiten, gebunden.
ISBN 3-85286-066-0.

Rezension vom 09.07.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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