#Prosa

Bist du jetzt ein Donaufisch?

Josef Peter Ortner

// Rezension von Barbara Angelberger

Bist du jetzt ein Donaufisch?, will der Vater von seinem Sohn Ulrik wissen. Der erwidert nichts, denn er ist tot. Erinnerungsbilder füllen die Stille. An die Stelle einer Antwort tritt eine Volksschulanekdote: Ulrik, der seinen MitschülerInnen erzählt, ein Fisch gewesen zu sein, bevor er zur Welt gekommen ist.

Josef Peter Ortner setzt sich im vorliegenden Werk mit dem Tod seiner Frau und seiner beiden Söhne auseinander, die 1987 während eines Urlaubs in Salzburg verunglückten. Eine sich plötzlich lösende Gesteins- und Eisformation begräbt Mutter und Kinder unter sich. Unweit der Unglücksstelle spielt der Vater mit seiner bald dreijährigen Tochter Anni. Von Sonntagsausflüglern auf das Unglück aufmerksam gemacht, rennt der Vater zur Unglücksstelle:
„Er stieg ins Geröll und drehte die Häupter seiner Kinder ins Licht. Die Frau aber stak, warm noch an allen Gliedern, kopfüber bis zur Mitte im Eis“. (S. 51)

Das „Ereignis“, wie Ortner es nennt, bildet den Mittelteil des Buches. Erinnerungen an das ehemalige Familienleben stehen an dessen Anfang. Ortner schlüpft dabei u. a. in die Rolle seines jüngsten Sohnes Ulrik, der aus der quasi unangreifbaren Position des Verstorbenen von sich und vom Familienleben erzählt. Kein ganz unproblematischer Kunstgriff, zumal Ortner dem Kind Formulierungen in den Mund legt und Ansichten überstülpt, die wohl eher seine eigenen sind.
„Aber ich bin […] mit jedem Tag meiner Mama ähnlicher geworden, und der Papa begegnete mir sehr bald mit einer gewissen Scheu, ich war viel weniger sein Bub als der dünne Matthis. Mit meiner quadratischen Denkerstirn unter dem Wuschelhaar, dem breiten Nasenrücken und den saftigen roten Lippen kopierte ich das Aussehen der Mutter, und mein Temperament kochte wie das ihre unter einer sehr reißfesten, aber schnell zornesroten Haut.“ (S. 13 f)

Gelegentlich wechselt der Autor vom „Ich“ zum neutral-distanzierten „Er“. „Er“ erzählt von dem, das nahe geht und trotzdem mitgeteilt werden will.
Um der mehrmals betonten Liebe ein Denkmal zu setzen, wird auch die Tür zum Schlafzimmer geöffnet; stellenweise unnötig weit „Er liebte nicht alle Liebkosungen von Seiten der Frau. Wenn sie sich im Bett über ihn warf, konnte sie gedankenvoll und bezwingend sein wie ein spanisches Halseisen. Freilich war er ihrer Liebeskraft scherzend überlegen, weil er das nicht so ernst nahm wie sie und sie meistens zwang, ihn wie einen manierlichen Aufliegerteufel, der die Hexe von oben belädt, zu empfangen.“ (S. 40)

Um das Weiterleben nach dem „Ereignis“ geht es im dritten Teil des Buches. Die Tatsache, dass Ortner sich weigert, Interviews zu geben oder vor Kameras zu weinen, wird von einigen Medien mit entsprechender Gehässigkeit quittiert. So informiert die auflagenstärkste österreichische Zeitung ihre LeserInnen darüber, Ortner „hätte mit Appetit (!)“ gegessen, […] da seien die Leichen aller Wahrscheinlichkeit nach noch in Eis und Schutt begraben gewesen.“ (S. 56)

In der Folgezeit muss der Autor nicht nur mit dem Tod von Frau und Kindern fertig werden, sondern auch seiner Tochter zu erklären versuchen, was man nicht erklären kann .“Wie lange trägst du mich und wohin?“ will das Mädchen beim Begräbnis vom Vater wissen. Es horcht an seiner Brust, weil es denkt, die Mutter darin zu hören.

Trost erfährt der allein zurückgebliebene Vater kaum. Das Unglück, das ihm widerfahren ist, überfordert seine Umgebung. Freunde verstummen. Nachbarn fühlen sich durch seine bloße Existenz belästigt; selbst die das Begräbnis haltenden Priester scheinen ihm am liebsten ausweichen zu wollen.
Der Schmerz bzw. die Verbitterung über das Alleingelassenwerden ist Ortner noch anzumerken: Gallig spricht er davon, wie er sich in der Hoffnung auf ein wenig Beistand an Bekannte wandte, an „Philosophen eines Grades, dass Universitäten sie zu Lehrern der feinsten Kunst des Denkens machten“ (S. 61); doch die Philosophen schweigen. „O weh! Es gebrach meinen Philosophen an Zeit zu denken, an Herz zu handeln, und, o weh, an Gedanken, wie sie dem Freund ein Tröpflein ihrer süßen Milch verabreichen könnten. Ich meinte ihrer Kunst wohl zu tun, indem ich als Geschlagener Zuspruch forderte. Sie wussten nicht, was ich schon wusste. Dass meine Philosophie hinreichte, im Zweifeln am Sinn des mir Bereiteten nicht zu verzweifeln“ (S. 61f)

Das angeführte Zitat macht vielleicht auch deutlich, was die größten Schwächen des Buches sind: Zum einen ist da Ortners Vorliebe für Wortkaskaden, sein Bemühen, Stil zu treiben, das zuweilen auch krude Bildlichkeiten zeitigt (z. B: sie trug „an der Fülle der Brüste wie ein schwankender Leuchtturm, der in Hals und Taille knickt. / S. 39) Zum anderen sein Bemühen, dem Leser alles besonders deutlich zu machen: Da wird – vor allem beim Versuch den Familienmitgliedern ein Denkmal zu setzen – stellenweise ziemlich dick aufgetragen. So heißt es etwa, das „erstgeborene Knäblein“ sei „[g]ezeugt und geboren in Liebe, Lust, Schmerz und Glück.“

Die interessantesten Stellen des Buches sind jene, in denen Ortner nüchtern vom Vorgefallenen berichtet. Sein Unglück erschließt sich auch ohne große Worte; ja, es wird umso eindringlicher, je knapper der Autor es fasst. Schade, dass er zwischendurch immer wieder auf Beredtheit setzt.

Josef Peter Ortner Bist du jetzt ein Donaufisch?
Erzählung.
Wien: Czernin, 2007.
120 S.; geb.
ISBN 978-3-7076-0232-6.

Rezension vom 24.04.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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