#Prosa

Bis jetzt

Antonio Fian

// Rezension von Julia Danielczyk

Der frischerkorene Lessing-Preisträger Antonio Fian hat sich die von der Wolfenbütteler Akademie verliehene Auszeichnung wahrhaft verdient. Hauptpreisträgerin und Schriftstellerkollegin Elfriede Jelinek, die in seinem neusten Buch „Bis jetzt“ als literarische Figur dupliziert wird (es handelt sich um ein auf einem Fasching als Elfriede Jelinek kostümiertes Kind), hat Antonio Fian für den Förderpreis bestimmt.

Eigentlich sollte eine der Erzählungen den Titel geben: „Bei Suhrkamp“. Aber dieser Kunstgriff passte dem deutschen Verlag ganz und gar nicht, so dass „Bei Suhrkamp“ nun als thematische Überschrift fungiert und als einer seiner bitterböse-merkwürdigen Texte über den deutschsprachigen Literaturbetrieb ebendiesen als undurchschaubare Kontrolleinrichtung entlarvt.

Der Erzählband selbst ist streng organisiert und in Fians Schreib- und Lebenswelten geteilt, als würde der Autor den steilen Weg von der tristen Provinz bis ins Verlagsmekka Suhrkamp strukturieren. Über ausgewählte Erzählungen aus den früheren Bänden „Einöde“, „Schreibtische“ und „Helden, Ich-Erzähler“ gelangt der Leser ins Reich des abstrusen Zentrums der Literatur, nach „Bei Suhrkamp“. Am Ende sind sämtliche Klischees von der schreibenden Zunft gänzlich demontiert und zugleich wieder verfestigt.

Bei Fian bleibt kein Verleger und schon gar kein Weltliterat, das, was sie einmal waren. Da werden die Literaturkritiker unbemerkt zu Bernhard-Epigonen, die naseweis in Bernhardschen Wiederholungsspiralen und im Wortneuschöpfungswahn dessen Sprachduktus zerpflücken. Alle gehen sie in die Bernhard-Falle, und glaubt man diese zu erkennen, da springt schon ein neues Bernhard-Plagiat aus einer Fianschen Wortschachtel. Überhaupt gelingen Fian meisterhafte Brüche, die scheinbar ganz alltägliche Geschichten zu einzigartigen Tragikomödien machen.

Fian fokussiert ungewöhnliche Begebenheiten, und er schildert sie im Kontext der indifferenten Wahrnehmung durch ihre Umwelt. In „Das schreckliche Gesicht“ wechselt ein Wirtshausbruder sein Gesicht, er verändert seine Züge und wird zum Faktotum des Dorfes, zum exotischen Star und sozialen Außenseiter. Aufgrund seiner Schüchternheit kontaktarm soll er von den Freunden verkuppelt werden. Prompt wird aus dessen seltsamen Anwandlungen ein interessanter Anziehungspunkt: „Eine ausgelernte Maniküre, die wir am Bahnhof angesprochen und sofort ins Wirtshaus eingeladen hatten, war von seinen Fähigkeiten so verzückt, das sie sich noch am selben Abend mit unserem Freund verlobte. Durch Wochen sahen wir ihn nun jedes Mal bester Dinge und häufiger als sonst seine Gesichtswechsel vollführen, zum größten Vergnügen seiner jungen Braut.“ (S. 15)
Bis die Geschichte kippt, und der merkwürdige Mann die Kontrolle verliert. Das „schreckliche Gesicht“ erstarrt, seine Verlobte verliert ihr Interesse an ihm, und der Erzähler erwähnt nebenbei, dass der Mann bald darauf gestorben wäre.

Fians Erzählungen geben im Konkreten preis, was vor lauter Gewohnheit ins Selbstverständliche gerutscht ist. Mit seiner scharfsinnigen Beobachtungsgabe und seinen sarkastischen Verdichtungen liest sich Antonio Fian wie der österreichische Max Goldt, wenn er in seinen populärphilosophischen Analysen Alltagssituationen ins Maßlose karikiert und sich dabei selbst entlarvt. Vor allem: Fian beherrscht die Kunst der Andeutungen. Hinter dem scheinbar beiläufig Gesagten verbergen sich die eigentlichen Tragödien, Ergebnisse einer sensationsgierigen Umwelt, die Vorführobjekte sucht.

In „Kinderfasching“ beschreibt Fian vorderhand die Wiener Literaturprominenz, die auf einem Verlagsfasching die Kleinen als bekannte österreichische AutorInnen verkleidet, eine Miniatur-Jelinek neben einer Zwerg-Mayröcker und dem Klein-Turrini amüsieren eine selbstgerechte Gesellschaft. Nur der Sohn des ebenfalls schreibenden Ich-Erzählers ist (quasi versehentlich) als Koch kostümiert. Ein Malheur, das die Gastgeberin – eine einflussreiche Verlagsleiterin – auflöst, indem sie den Knaben schlicht zu Ludwig Fels erklärt und ihn damit in eine skurrile Identitätskrise stürzt.

Fian erzählt bitterböse Geschichten über notwendige Zugeständnisse an einen gnadenlosen Betrieb perfekter Selbstdarsteller. Bis er am Ende selbst drankommt und sich zur verzweifelt-komischen Autor-Figur stilisiert. Der ganz normale Alltag ist Fians Material, das durch seinen satirischen Blick über jeglichen aktuellen Kommentar hinaus zur essenziellen Kurzprosa wird.

Antonio Fian Bis jetzt
Erzählungen.
Graz: Droschl, 2004.
280 S.; geb.
ISBN 3-85420-652-6.

Rezension vom 27.05.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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