#Theater

Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts

Peter Handke

// Rezension von Christine Schranz

Samuel Becketts Letztes Band, sagt Handke, sei „de[r] Endpunkt oder die Endstation des Theaters“, „die vollkommene Reduktion“. Das letzte Band ist in der Tat die vollkommene Reduktion: ein Einakter, ein Ein-Mann-Stück, ein einziger Schauplatz, der Ersatz von Handlung durch Reminiszenz.

Peter Handke ist wie Beckett ein Meister der „Sprechstücke“, wie er bereits 1965 mit der Publikumsbeschimpfung bewiesen hat. Bis daß der Tag euch scheidet führt die Reduktion von Theater einen Schritt weiter: während in der Publikumsbeschimpfung vier Sprecher zu Wort kommen, gibt es nunmehr eine einzige Sprecherin, und während die Publikumsbeschimpfung an ein Publikum gerichtet ist, redet die Sprecherin in Handkes neuem Stück mit dem aus Stein gehauenen Mann zu ihrer Seite, ohne ihn jedoch anzusehen. „Kann es sein“, schreibt Handke im Nachwort, „daß nach Beckett nur noch unsere sekundären Stücke gekommen sind, wie zum Beispiel, als Beispiel eben Bis daß der Tage euch scheidet? Keine Reduktion mehr möglich, kein Null-Raum mehr möglich nur noch Spuren der Verirrten […]?“

Handke nennt Bis daß der Tag euch scheidet „ein sehr kleines Drama“, ein „Echo“ auf Becketts Letztes Band. In der griechischen Mythologie ist Echo eine Oreade, eine Bergnymphe, die gern ihre eigene Stimme hört. Sie pflegt Zeus‘ Frau Hera mit Erzählungen zu unterhalten, während der Gott sich mit den anderen Nymphen vergnügt. Als Hera Echos Ablenkungsmanöver durchschaut, beraubt sie diese der Sprache, von diesem Zeitpunkt an kann die Oreade nur noch die Worte anderer wiederholen. Als sie sich in Narziss verliebt, entpuppt sich die Möglichkeit von Kommunikation als Illusion; ihr wird das Herz gebrochen.

Handkes Drama gibt Echo ihre Stimme wieder, doch die Worte seiner Sprecherin, der „Verirrten“, wie sie im Nachwort heißt, verhallen ungehört – ungehört zumindest von dem, an den sie gerichtet sind.
Die Rahmenerzählung beginnt mit der Beschreibung zweier steinerner Statuen, Mann und Frau, die, lebensgroß, jeweils in einer eigenen Nische stehen. Der Betrachter fühlt sich an ein Grabmal römischer Eheleute erinnert, wobei ihm ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden Skulpturen auffällt. Der steinerne Mann erscheint ihm „tot und hinüber, wie man nur hinüber aussehen kann“, die Frau hingegen „als das blühende Leben“. Dem Mann hat ein Passant „Bruchstücke wie von einem Tonband“ um die Stirn gewickelt – es handelt sich, scheints, um eine Statue jenes Krapp, der in Becketts Letztem Band an seinem neunundsechzigsten Geburtstag seinen alten Tonband-Tagebüchern lauscht.

Während der steinerne Mann „ganz tot“ ist, schlägt die Frau an seiner Seite plötzlich die Augen auf („oder ist das weiterhin eine Halluzination?“) und beginnt zu sprechen. Sie ist, wie sie uns auf der zweiten Seite ihres Monologs verrät, „die Frau neben dir in dem beinah bewegungslosen, ruderlosen Boot mitten im Schilf des namenlosen Sees oder Weihers unter dem sommerlichen Sternenhimmel.“ Auch die Frau im Boot kennen wir aus Becketts Stück. Die Tonbandaufzeichnungen des neununddreißigjährigen Krapp beschreiben einen romantischen Augenblick in einem Kahn. Beckett selbst soll zu Pierre Chabert gesagt haben: „I thought of writing a play on the opposite situation with Mrs. Krapp, the girl in the punt, nagging away behind [Krapp] […].“ Gleich, ob Beckett ernsthaft überlegte, über „Mrs Krapp“ zu schreiben, Handke greift die Idee auf. „Mein Spiel jetzt“, kündigt seine Verirrte an, „Dein Spiel ist gespielt, Mister Krapp, Monsieur Krapp, Herr Krapp.“ Die „Verirrte“ macht sich über Krapps Tonbänder lustig, über seine Kleidung und über die Bananen, die Beckett ihn essen lässt. Sie spricht, anders als die Echo der Mythologie, ausdrücklich „in meiner eigenen Sprache, der Sprache meiner Kindheit und meiner Sinne.“

Sprechen und Schweigen sind das Leitmotiv in ihrem Monolog: „Mit deiner Art Schweigen wolltest du bestimmen über mich, wolltest du mir dein Gesetz aufzwingen, ein despotisches Gesetz, gegen das es keine Widerrede gab.“ Echo, die nur wiederholen kann, was andere sagen, kann nicht widersprechen, solange ihr Gegenüber schweigt. Wenn Krapp aber spricht – nicht zu ihr, doch auf seinen Tonbändern –, hält die Verirrte ihm vor, „warst du ständig die erste Person, Wort für Wort, und Satz um Satz.“ Selbstverliebt wie Narziss wollte er ein Schöpfer sein, hat ständig auf Dinge „zeigen wollen“: „All dein Zeigen hat von Anfang an bedeuten wollen“, und hat darunter gelitten, „in einem fort bewusst zu sein.“ Und doch ist Krapp kein Schöpfer; wie Narziss ist er nicht einmal „fähig zu einem Zwiegespräch.“ Nur seinen Tonbändern vertraut Krapp an, was er denkt: „Mit den andern, mit dem andern: außerhalb deines Elements.“

Im Sprechen und Schweigen des Krapp ist zugleich das Gegenteil mitgeschrieben – die Bedeutung jedes Wortes, jedes Auftretens scheint durch ihr Gegenteil definiert. Die Verirrte fühlt sich durch Krapps „formvollendeten Gram […] angesteckt zu Heiterkeit“. In seiner „Leichenbittermiene“ erkennt sie „eine verschmitzte, herrlich sinnlose Lebenslust“, und sein „Extraschwarzsehen war ein Kraftwerk, das ein Extralicht erzeugt hat.“

Der Tod setzt der Beziehung der beiden kein Ende, denn bei Handke sind sie vereint als steinerne Figuren, im Grabmal eines römischen Ehepaars. „Bis daß der Tod uns scheidet?“, fragt die Verirrte, „Nein, bis daß der Tag uns scheidet. Der Tag der uns scheidet: Nie wird er kommen.“ Er kann gar nicht kommen, denn während Becketts Krapp nur Monologe führen will, kann Handkes steinerner Mann nicht einmal mehr das – er ist „tot und hinüber“. Die Verirrte, eine Echo, die ihre Stimme wiedererlangt hat, spricht, und wird, so scheint es erst, doch nicht gehört. Schließlich tritt sie zurück in ihre steinerne Nische und schläft wieder ein. Und doch: etwas scheint anders zu sein. „Ist es nun wieder eine Halluzination“, fragt sich der Betrachter, der die Szene belauscht und beobachtet, „daß die männliche Figur zu ihrer Seite sich der Frau anzugleichen scheint, wenn auch kaum merklich? Oder ist das bloß eine Frage des Lichts (und des Schattens)?“

Kann Sprache noch (oder wieder) Bedeutung vermitteln? Ist ein Zwiegespräch möglich? „Die Worte […]“, sagt Handke über „Sprechstücke“, „zeigen nicht auf die Welt als etwas außerhalb Liegendes, sondern auf die Welt in den Worten selbst.“ Doch wie diese Welt konstituiert ist, ist, wie Handke uns immer wieder vor Augen führt, letztlich auch „eine Frage des Lichts (und des Schattens)“.

Peter Handke Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts
Ein Monolog.
Deutsche Version (2008) und Französische Erstschrift (2007).
Frankfurta am Main: Suhrkamp, 2009.
52 S.; brosch.
ISBN 978-3-518-42096-6.

Rezension vom 05.07.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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