#Prosa

Bindungen

Barbara Frischmuth

// Rezension von Emily Walton

und andere Erzählungen.

Wer einen Erzählband erwartet, mag zunächst von diesem (verhältnismäßig) schmalen Buch von nur 156 Seiten enttäuscht sein. Nur zunächst, natürlich. Denn spätestens nach dem Lesen der Einleitung wird der Leser verstehen, dass weniger mehr ist bzw. dass Qualität über Quantität geht.

Nicht, dass man aus dem Repertoire der Barbara Frischmuth nicht ein umfassendes Kompendium an qualitativ hochwertigen Kurzgeschichten und Erzählungen zusammenfügen könnte. Aber das war nicht die Absicht des Residenz Verlags, nicht die Absicht des Herausgebers Julian Schutting. Sein Bestreben, so schreibt Frischmuths langjähriger Freund in dem aufklärenden Vorwort, lag darin, Texte auszuwählen, die „für Barbaras sprachliche Wandelbarkeit, für die Vielfalt ihrer Themen und daher auch Techniken“ einstehen. Zudem hatte Schutting stets die Frage im Hinterkopf: „Was von all dem gleichwertig Eingeschätzten kennen vermutlich die wenigsten aus der großen Frischmuth-Lesegemeinde?“

Vier Texte in unterschiedlicher Länge hat Schutting in den neu zusammengestellten Band aufgenommen. Nicht nur im Umfang, sondern auch stilistisch weichen die Erzählungen voneinander ab. Mal sind die Texte realistisch, mal absurd-grotesk angelegt. Ein ganzes Spektrum an Charakterzügen und Emotionen wird in diesen vier Prosastücken dargestellt. Die Klammer für diese vier Texte: Das zentrale Thema des Zwischenmenschlichen. In jeder Passage geht es um eine Form von  Beziehung, also um die titelgebenden Bindungen.
So handelt der erste, sehr knapp und pointiert gehaltene Text Meine Großmutter und ich von einer Großmutter-Enkelin-Beziehung. Frischmuth hat hier einen Dialog konstruiert, aus dem so vieles über das Verhältnis dieser beiden Figuren hervorgeht. Es ist ein aufgeladener Dialog, in dem zwei Lebenswelten, zwei Generationen aufeinanderprallen.
In Und ich sah, und siehe, eine weiße Wolke sind zwei Freundinnen auf der Suche nach einem Wunder. Der kürzeste Text in diesem Buch liest sich beinahe wie ein Prosagedicht. Frischmuths Beobachtungsgabe und ihre Liebe zur Natur treten hier deutlich hervor.
Es folgt die Geschichte Otter: Ein von Selbstzweifeln geplagter Mann sucht Trost in gekaufter Liebe. Er geht mit der Prostituierten nach Hause, gibt ihr sein gesamtes Geld, nur um dann festzustellen, dass auch sie mit sich selbst und mit der Frage „Bin ich ,normal‘?“ hadert.

Die titelgebende Erzählung Bindungen* nimmt den Großteil dieses Buchs ein und erstreckt sich über mehr als 100 Seiten. Hier gelingt es Frischmuth, die verschiedenen Dimensionen, das Wechselspiel von innerfamiliären Beziehungen fühlbar zu machen. Dazu lässt sie ihre Protagonistin, die liebeskranke Fanny, bei ihrer Schwester und deren Familie Urlaub machen. Die Autorin arbeitet hier mit Gegensätzen: Hausfrau vs. Karrierefrau/Intellektuelle, Stadt vs. Land, Ehefrau vs. alleinstehende Frau. Im Vordergrund dieses Texts steht das Weibliche, die Rolle der Frau in der Gesellschaft – Themen, denen sich Frischmuth immer wieder widmet.
Über weite Strecken monologisiert die Ich-Erzählerin Fanny. Sie stellt die Gegenwart der Vergangenheit gegenüber. Hier kommt auch die Kindheit der beiden Schwestern vor, die die Beziehung der beiden Schwestern verständlicher macht. Zentral in den  Erinnerungsmonologen aber ist die Verarbeitung der zu Ende gegangenen Liebesbeziehung. Zwei Erzählstränge stehen nebeneinander: Fanny, die einen Lösungsprozess erlebt, indem sie sich der Vergangenheit stellt. Fanny, die in der Gegenwart eine heimliche Affäre mit dem Mann ihrer Schwester hat. Letzter Strang ist es, der die Handlung vorantreibt und dem Text Tempo gibt.

Obwohl die Erzählung Bindungen länger ist als die anderen Texte, bleibt Frischmuth auch hier ihrem knappen Stil treu. Mit ihrer präzisen Sprache erzeugt sie Bilder, spart dabei aber immer auch aus. Das Wesentliche steht – in allen vier Texten – zwischen den Zeilen.

* Bindungen erschien bereits 1980 als eigenständige Erzählung im Residenz-Verlag.

Barbara Frischmuth Bindungen
Erzählungen.
Salzburg, Wien: Residenz, 2013.
176 S.; geb.
ISBN 9783701716173.

Rezension vom 01.08.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.