Auf ihrer zehnjährigen Beziehungsreise bewegen sich Marcus und Sophia kreuz und quer durch Europa. Der Hintergrund ist attraktiv: Abenteuerliche Orte, magische Plätze, schöne Landschaften. Auch die Beziehung geht bis an die Grenzen. Die Reisen führen das Liebespaar aus Wien zunächst ins Salzkammergut und in andere Orte der Steiermark, schließlich viel weiter weg, nach Apulien, Italien, Island, in die Türkei und nach Ungarn, auch nach Siebenbürgen, Portugal und sonst wohin, weshalb das Buch Liebesroman und Reiseführer in einem ist, wobei sich ohnehin die Frage stellt, in welchem Genre Sabine M. Gruber stärker ist, zumal es sich um starke Landschafts- und Ortsbeschreibungen mit geschichtlichem Hintergrund handelt. Ja, der Roman ist sinnlich, in seinen Bildern stark und in der Handlung dicht.
Kennt man Sabine M. Grubers Werk etwas genauer, weiß man, dass jede Erzählung aus ihrem Prosaband „Kurzparkzone“ (Picus 2010) zugleich ein Ausschnitt aus einem Roman sein könnte. Die Beziehungsreise ist der Roman zur zwölften, also zur letzten Kurzpark-Geschichte, diese Erzählung bildet eins zu eins ein Kapitel des neuen Romans. Ein überzeugender und sympathischer Einfall, der die Kontinuität im Werk deutlich macht und mit dem Gruber zeigt, wie der Kontext die Bedeutung einer Geschichte verändert oder überhaupt erst erzeugt.
Bei der Beziehungsreise als Liebesgeschichte handelt es sich um die Anatomie einer Stop-and-go-Beziehung, wie es sie, wäre man empirisch unterwegs, zu Tausenden gibt. Warum sind diese oder jene Menschen seit Jahren zusammen?, so könnte man immer wieder fragen. Der Roman legt exemplarisch die psychischen Mechanismen und Motive bloß, die solche Beziehungen jahrelang nähren und am Leben erhalten. Er deutet aber auch an, und zwar mehrfach, warum die Geschichte von Marcus und Sophia eine enden wollende ist, die nach zehn Jahren nicht mehr geheilt werden kann.
Eine Komponente geht mir in diesem Roman ab, in dem sogar das relativ komplizierte Familiengeflecht beider Partner, inklusive Selbstmord des Bruders der Heldin, dargelegt wird, nämlich der Hinweis auf Sophias Freundinnen oder zumindest „die beste Freundin“, was den Text (noch) lebensnaher hätte ausfallen lassen. Dieses Romanpersonal wird zur Gänze ausgespart.
Ausdrücklich ist darauf hinzuweisen, dass das Werk literaturtechnisch ein so genannter Spiegel-Roman ist. Er kann – Kapitel für Kapitel – in beide Richtungen gelesen werden, gleichsam wie das Leben, das vorwärts gelebt werden muss, während es erst rückwärts verstanden werden kann. Daraus ergeben sich zwei Perspektiven auf ein und dasselbe: was in der einen Richtung Erinnerung ist, wird in der anderen Vorausahnung. Theoretisch! Denn: Keine Leserin / kein Leser werden den Roman wohl umgekehrt lesen, obwohl man bei der Lektüre „spürt“, dass es möglich wäre.
Liest man die Beziehungsreise genau, kann man feststellen, dass Schreiben für Sabine M. Gruber heißt, Wirklichkeit erstens zu verfremden und zweitens zu verdichten, weshalb das Buch literarisch und nicht biografisch zu verstehen ist.
Der Autorin ist, meine ich, die Unmittelbarkeit des Ausdrucks wichtig, weshalb zum Beispiel ihre „Haupterzählzeit“ die Gegenwart ist. Auf dieser „Plattform“ bewegt sich Sabine M. Gruber vor und zurück. Die Sprache wird dabei so einfach wie möglich gehalten, Empfindungen, Gefühle und Situationen mit gerade so vielen Worten erfasst, dass sie im Leser entstehen. Der Rhythmus spielt bei der studierten Musikerin eine große Rolle: Satzlängen, Satzmelodie, Satzzeichen, Wortklang und Wortstellungen werden bewusst eingesetzt. Und auch der Sprachwitz.
Das Buch hat nur ein Manko: Das Cover ist altbacken und einfallslos und regt nicht gerade dazu an, den Band in die Hand zu nehmen. Picus kann es meist besser.