#Prosa

Bewegungsmelder

Thomas Ballhausen

// Rezension von Martina Wunderer

Don’t cry – work!
Diese Anleitung wählte der Autor Rainald Goetz als Untertitel für seinen frühen Roman Irre. Dementsprechend der Werkbegriff: Existentiell. Alles ist eins: Leben, Schreiben, Wirklichkeit, Literatur. So auch in Thomas Ballhausens neuem Werk Bewegungsmelder. In zehn Prosastücken erzählt der Wiener Schriftsteller und Kulturwissenschaftler Episoden aus der alltäglichen Medienrealität und Lebenswelt eines radikalen Solipsisten.

Fluchtversuche und Interventionen heißen die beiden Teile des schmalen Buches. Die Überschriften sind Programm. Denn während Ballhausen „in die fließende Form“ der ersten sechs Erzählungen „die Auseinandersetzung mit Geschichte, Schuld und Gedächtnis einschreibt“, vor der seine Protagonisten zu fliehen versuchen, erprobt er in dem rhythmischen Stakkato der vier „Interventionen“ die Revolte gegen jegliche Festlegung durch die Kultur und ihre Narrative.

Ballhausen schreibt eine hochreflektierte, doch dabei sinnliche Prosa. In ihr manifestiert sich das Roland Barthes’sche Diktum vom „Denken des Körpers im Zustand der Sprache“. Im Schreibprozess verschmelzen Schriftsteller, Ge- und Beschriebene(s) zum Schrift-Körper, einer Textur, in der Bruchstücke von Träumen und Erinnerungen, fiktive Begegnungen und reale Kontakte, Erlebtes und Zitiertes gleichwertig nebeneinander stehen. „Du sagst: ich werde mich nicht ausziehen/ breitest Dich auf dem Bett aus/ Du sagst: mach Du das für mich/ schreib mir die Kleidung weg/ ich sage jedes Kleidungsstück auf/ rückwärts gesprochen/ wie ein Musterschüler/ und unter meinen Worten geht die Wirklichkeit in Brüche“.

„These fragments I have shored against my ruins“ – dieses Zitat T.S. Elliots – auch er neben Goetz einer der vielen Kronzeugen, die Ballhausen herbeizitiert – macht das Prinzip seines Schreibens anschaulich. Der Schriftsteller verwebt im Zuge einer intertextuellen Bastelei Trümmer, „Fragmente“ aus ästhetischen, medialen und wissenschaftlichen Diskursen zu einem neuen Schreib-Teppich, der zu einem fragilen Versuchsfeld für Autor und Leser gleichermaßen wird: „was soll das bedeuten/ wenn ich einfach alles umschreiben kann/ als wäre nichts so passiert/ wie es eben passiert ist/ tatsächlich.“

Die programmatische Offenheit und gleichzeitige strenge Hermetik von Ballhausens Prosa speist sich aus ihrer performativen Vielstimmigkeit. Die Häufung von Zitaten aus „Pop und Poetik/ Poetik und Pop“ zeigt die intertextuelle Verstrickung als Spiel, das die Genre- und Gattungsgrenzen durchdringt und den Leser vor die Herausforderung stellt, den vielen Spuren zu folgen anstatt nach einem roten Faden zu suchen. „Immer schon ein vollkommen OFFENES Buch schreiben wollen / das aus Türen besteht / aus Angeboten/ aus Fenstern und Durchgängen/ jede Passage führt zu einem anderen Raum/ schlüsselt ihn auf/ wir basteln alle an einem Kontinuum/ ich bastle jedenfalls/ machen Sie doch mit“, fordert der Autor den Leser in einer programmatischen Erklärung am Ende des Buches auf, sich lustvoll und kreativ an der Bricolage zu beteiligen. Im postmodernen Bewusstsein, „dass du nur ein Zitat bist/ Aus einem Buch das du nicht geschrieben hast/ Dagegen kannst du lange anschreiben auf dein/Ausbleichendes Farbband Der Text schlägt durch“ (Heiner Müller), gilt Ballhausen der Text als alleinige Autorität über die Lektüre, der Text, „der sich hier schreibt/ weil er/ also der Text/ schlussendlich immer besser ist als der Autor/ also ich“.

Und wie das Schreiben, so ist auch die Liebe von unseren fragwürdig gewordenen, vielfach fragmentierten und kontextualisierten Identitäten betroffen, immer weiter distanzieren sich Liebende voneinander, differenzieren sich gegeneinander, und wie sollen sie auch von Liebe reden, wenn alles nur Zitat ist: „Sie sagte die entsprechenden Sätze über dauerhafte Bindung, Hausstand und Kinderwunsch auf, als hätte sie sie sorgfältig aus einem Ratgeber abgeschrieben und für diese Situation memoriert. … Welchen Stellenwert seine Liebe dann für sie hätte, welchen Platz abseits des Geplanten sie einnehmen könnte, war ihm damals nicht deutlicher geworden.“

Im Grunde sind es Geschichten über die Liebe, die Ballhausen erzählt, wenn auch unglückliche, gescheiterte. Am ehesten gelingen flüchtige Begegnungen von Fremden, unter Vorspiegelung falscher Namen und Leben, die Gesichter hinter Masken verborgen, die Körper käuflich. Am Morgen danach – „ich drehe mich zum Bett um, wie zu erwarten war, bin ich allein. Sie ist weg, am oberen Ende ihres Schlafsacks liegt die Tarotkarte der Liebenden.“ Nur noch durch diese Typisierung – „Liebende“ – hängen sie lose zusammen, und durch eine heimliche, heimatlose Sehnsucht nach Romantik und Geborgenheit. Für sie – und das ist das vielleicht Verblüffendste an diesem belesenen Buch – findet Ballhausen, dieser so ernsthafte, kluge und kopflastige Autor, wunderbar melancholische Sätze von stiller Poesie.

„Die mir sonst so wertvolle Hauptstadt, diese Gegend aus Samt und Porzellan, hat ohne Dich ihren Glanz eingebüßt.“

Thomas Ballhausen Bewegungsmelder
Prosa.
Innsbruck, Wien: Haymon, 2010.
108 S.; geb.
ISBN 978-3-85218-643-6.

Rezension vom 16.11.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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