#Roman

Bevor Max kam

Michael Köhlmeier

// Rezension von Susanne Zobl

Jeden Mittwoch geht das Erzähler-Ich in ein Wiener Kaffeehaus und wartet auf seinen Freund Max. Entweder Max kommt wöchentlich zu spät oder der Erzähler stets zu früh. Wir wissen es nicht, genausowenig werden wir in Michael Köhlmeiers Buch Bevor Max kam den vermeintlichen Titelhelden kennenlernen. Er bleibt buchstäblich außerhalb des Geschehens, wie es eben bereits auf den Buchdeckeln suggeriert wird – reduziert zur Rahmenhandlung.

Köhlmeier als Boccaccio des ausgehenden 20. Jahrhunderts also? Möglich. Zwar sind es nicht hundert, sondern (leider) nur 55 Geschichten, die darin erzählt werden, doch jede von ihnen könnte – ähnlich wie bei Köhlmeiers Kollegen aus Italien Stoff für einen Roman oder – oft noch besser – für einen Film abgeben. Doch der Maestro aus Vorarlberg belehrt seine Leser gleich zu Beginn eines Besseren. Hier werden nicht nur Geschichten zum Zeitvertreib zum Besten gegeben, sondern hier liegt ein Roman vor, wie auch der Untertitel besagt.

Einige der erzählenden Personen kennen einander, treten immer wieder auf, geben immer mehr von sich Preis. Alfred, der Ober, Caligula oder Brigitta – sie alle sind Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, im Grunde genommen sind sie alle mit denselben Problemen konfrontiert: Partnerschaften, die zerbrechen, unglückliche Liebe, Unzufriedenheit mit sich selbst. Jederzeit könnte man ihnen begegnen, jederzeit könnten sie sich im Kaffeehaus zu uns an den Tisch setzen und anfangen zu erzählen. Ob es Caligula ist, der aus Eifersucht immer fetter geworden ist, oder Rita, die fast eine Millionärin geworden wäre, oder jene Freundin des Erzählers, die eine Reportage über einen Mörder in Ex-Jugoslawien machen will.

Und jener Mann, der seine Frau betrügt, aber nicht weiß weshalb und sein Verhältnis endlich beenden möchte. Der Erzähler könnte ihm dabei helfen, indem er seine Geschichte aufschreibt. Dieser Mann fügt sich damit in das Zeremoniell ein, das wöchentlich im Kaffeehaus abgespult wird: Der Erzähler kommt Mittwochs ins Kaffeehaus, wartet auf Max, bekommt seine Geschichte und danach meistens ein Paar Frankfurter und einen Kaffee. Daß die einzelnen Abschnitte alle nach dem gleichen Schema gebaut sind, ist kein Zufall. Denn der erfolgreiche Schriftsteller aus dem Ländle hat das Angebot einer österreichischen Tageszeitung, einmal in der Woche eine kurze Erzählung zu verfassen, angenommen und daraus ein Buch gemacht.

Dennoch wollen diese Geschichten keinesweg nur als Auftragswerke gelten, denn jede einzelne überzeugt, besticht, läßt auf die nächste warten. Verbunden durch die handelnden bzw. erzählenden Personen, die gleichsam in Fortsetzungen ihr Leben erzählen, werden diese kompakten Literaturclips am Ende dennoch irgendwie dem Untertitel gerecht und fügen sich zu einem Roman zusammen.

Daß es sich dabei auch noch um Literatur handelt, die auf hohem Niveau ein Höchstmaß an Unterhaltung bringt, ist Köhlmeiers Talent, einfach draufloszuerzählen, zu verdanken. Bevor Max kam ist ein Buch, das sich schnell und leicht konsumieren läßt, aber dann ist es aus. Und am Ende, weiß man vielleicht gar nicht mehr, welch faszinierende Literatur hier vorliegt.

Michael Köhlmeier Bevor Max kam
Roman.
München, Zürich: Piper, 1998.
226 S.; geb.
ISBN 3-492-04065-9.

Rezension vom 22.01.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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