#Roman

Bevor ich schlafen kann

Monika Helfer

// Rezension von Michaela Schmitz

Ein bisschen hoffnungslos

„Brust weg, Mann schwul und tot auch noch.“ Was zu viel ist, ist zu viel. Das jedenfalls findet die Erzählerin von Monika Helfers Roman Bevor ich schlafen kann. Und erfindet für ihre Hauptfigur Josi Bartok eine bissig ironische Geschichte vom persönlichen Widerstand gegen das eigene Unglück. Denn das komme immer zweimal, resümiert Josi selbst ihr trauriges Schicksal mit einer guten Portion Galgenhumor. Und nun stell dir eine Frau vor, hören wir die Erzählerin zur Deckenlampe sagen: Erst verliert sie bei einer Krebsoperation beide Brüste; und kurz darauf verlässt ihr Mann sie wegen eines schwulen Freundes. Ihre beiden erwachsenen Kinder halten zum Vater, der sie großgezogen hat.

Was also tun? „Tu so, als ob du die Figur eines Romans wärst“, wäre wohl der Rat eines früheren Kollegen an Josi gewesen. Jedenfalls beschließt die ehemalige Psychiaterin, ihr Unglück von nun an selbst in die Hand zu nehmen und für sich eine neue Rolle zu erfinden. Denn: „Wer sich ein Leben als Film oder Song vorstellen kann, ist noch nicht verloren.“ Also macht sie von nun an einen „zarten Herrn“ aus sich und trägt ausschließlich Herrenanzüge – das Jackett manchmal direkt über ihren Narben, zwei vom Operateur erbetene Kreuze. Doch: „Wer will so eine lieben?“ fragt sich Josi in ihrer Einsamkeit und übermächtigen Liebessehnsucht immer noch „ein bisschen hoffnungslos“.

Doch für die Teilnehmer eines Erzählseminars auf der griechischen Insel Hydra scheint sie auf unterschiedlichste Weise anziehend zu wirken: als Provokateurin, als coole Kultfigur, als Trost spendende Heilige oder als leidender zarter Herr. Frau Beck bewundert sie, weil sie der Hotelier-Familie beherzt zu Hilfe eilt. Denn diese erreicht an ihrem Ankunftstag die plötzliche Nachricht, der Sohn des Hauses sei ertrunken. Max Lorber, der sympathische Hemingway-Typ, nähert sich Josi beim Versuch, ihre auf Tiefkühltemperatur arbeitende Klimaanlage zu reparieren. Dabei setzt er die komplette Kühlung des Hauses außer Funktion. Auch Paula, die Tochter des Schriftstellers Michael Köhlmeier, der zwischen Olivenhainen Sagen des klassischen Altertums erzählt, ist wie magisch von ihr angezogen. Und umgekehrt. Josi kommt es vor, als „hätte sie auf mich gewartet, (…) wie ich auf sie gewartet habe.“ Und irgendwie scheint das zwölfjährige blond gelockte Mädchen mit seinem hellblauen Kleidchen und roten Schleifen an den gebauschten kurzen Ärmeln mit dem überirdischen Charme einer Elfe mehr von Josi zu wissen als diese von sich selbst.

Trotz ihrer vorzeitigen Abreise wird der Besuch der Insel Hydra für Josi zum Wendepunkt. Sie hat sich in Max Lorber verliebt und in Paula eine Lebens-Freundin gefunden. Zurück in Wien taucht diese, wie aus dem Himmel gefallen, vor ihrer Tür auf. Paula ist es auch, die Max Lorber zu Josis Wohnung führt. Der Beginn eines dauerhaften Liebes-Arrangements. Josi und der verheiratete Max sehen sich einmal in der Woche und versuchen, „miteinander gemütlich umzugehen.“ Das schreibt sie Paula am Ende des Romans in einer hoffnungsvollen Mail, in der sie ihr versichert „Du gehörst zu unserem Leben.“

Josi Bartok hat sich selbst neu erfunden, um das eigene Unglück zu bannen. Gelungen ist es ihr aber erst mit Hilfe von Paula – der Romanfigur, die den Namen der 2003 tödlich verunglückten gemeinsamen Tochter von Autorin Monika Helfer und ihrem Mann Michael Köhlmeier trägt. „Tu so, als ob du die Figur eines Romans wärst“, sagt Josi zu Paula. Paula ist im Roman ihrer Mutter die heimliche Hauptfigur und Komplementär von Josi. In Josis unumkehrbarem und nicht zu relativierendem Unglück spiegelt sich wiederum die reale Tragödie der Autorin, die Jahre zuvor ihre Tochter verloren hat. Dem unvermeidlichen Vorwurf des „therapeutischen Schreibens“ begegnet Monika Helfer proaktiv mit der vielfachen Verschachtelung von Autobiogafie und Fiktion. „Bevor ich schlafen kann“ ist geprägt von einer ungewöhnlichen Mischung aus Selbstironie, Mut und Schonungslosigkeit – eine humorvolle Unerschrockenheit, mit der Monika Helfer auch ihre Hauptfigur Josi ausstattet. Das ist nicht immer „gemütlich“ zu lesen. Die sarkastische Radikalität des Buchs schockiert. „Man muss das Unglück ernst nehmen“, sagt Josi. Genau deshalb, hören wir die Autorin antworten, muss man auch lernen, darüber zu lachen.

Monika Helfer Bevor ich schlafen kann
Roman.
Wien: Deuticke, 2010.
222 S.; geb.
ISBN 978-3-552-06142-2.

Rezension vom 05.08.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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