#Roman

Betriebsstörung

Gustav Ernst

// Rezension von Beatrice Simonsen

Betriebsstörung! Gustav Ernst hat sich den Literaturbetrieb diesmal in einem Krimi vorgeknöpft. Und ausgerechnet eine Literaturkritikerin ist das Mordopfer! Aber nur Mut! Hinein ins Vergnügen! Der Autor entwickelt eine regelrechte Schlammschlacht im „Community“-Sumpf und wer will, amüsiert sich mit ihm über die angepatzten Figuren des vorgeblichen „Schlüsselromans“.

 

Das Setting: Sechs Personen in einem heißen Sommer in Wien, drei Männer, drei Frauen. Am Ende geht es unentschieden aus. Alle haben ihr Fett abbekommen, aber das Gute siegt doch irgendwie, obwohl man es nach all den Streitereien über die „Neidhammelpartie“, das „Literaturgesindel“, die „Bestsellerkreaturen“, „Kitschdrosseln“, „Literaturhirnwichser“ und „Gefühlsgatschschmierer“ mit ihrem „Unterhaltungsschmarren“ kaum glauben kann. Beleidigt und gestritten wird nämlich, was das Zeug hält. Mit Rufzeichen! Die Dialoge verhandeln von der ersten Seite weg deftig, impulsiv, jähzornig, grob die Gustav Ernst angelegenen Themen Sexualität („Grado. Süße Nacht“) und Literatur („Helden der Kunst, Helden der Liebe“).

Die vielen Rufzeichen lassen den Pulsschlag in die Höhe schnellen, imaginieren stets lautstark oder aufgeregt geführte Diskussionen. Wie in einem Slapstick setzt der Autor wiederholt einen ausgedehnten rechthaberischen Schlagabtausch über Nichtigkeiten zwischen den Duellanten ein. Man hat die jeweiligen Dialogpartner/innen bildhaft vor Augen und oft den Eindruck, nicht einen Roman, sondern das Drehbuch zu einem Film zu lesen. Und nun eignet sich der Krimi erst recht für die Vorliebe des Autors, mit dem Messer in den offenen Wunden seiner Figuren zu wühlen.

Zur Einstimmung verfolgen wir den Dialog zwischen Nina und Olga, der den Ton des Romans schon einmal vorgibt. Wilde gegenseitige Beschuldigungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie Busenfreundinnen sind. Die beiden verbringen ihre Abende mit Aperol Spritz-Trinken und dem Besuch von Lesungen, um da oder dort einen One-Night-Stand aufzureißen, wenn schon keinen Partner fürs Leben. Mit solchen Erwartungen geben sich die beiden Fünfzigjährigen – die eine Deutschlehrerin, die andere Apothekerin – nach ihren bisherigen Erfahrungen mit Männern längst nicht mehr ab. Obwohl Dichter nicht gut im Bett sind – dazu seien sie zu narzisstisch –, hegen beide Damen Illusionen in Bezug auf die Literatur und ihre Produzenten. Männlicherseits stehen ihnen die „Bestsellerkreatur“ Philipp Semmelweis und der „Literaturhirnwichser“ Joachim Trotta gegenüber, über deren Qualitäten gestritten wird. Während bei Olga der „Aufreißerschmäh“ im Vordergrund steht, hat Nina ihr Lehrerinnendasein satt und sucht nach neuen Zielen.

Noch am selben heißen Sommerabend trifft Nina Eschenbach überraschend Ivo Rössler, einen ihrer Ex-Schüler, der zu einem attraktiven Kulturredakteur herangereift ist. Das sprießende Verhältnis wird bald durch die Nachricht vom Mord an der Literaturkritikerin Anna Bachmann gestört, die wir nicht mehr die Gelegenheit haben persönlich kennenzulernen. Bachmann – Ehefrau von Trotta – ist für ihre wütende Ablehnung minderwertiger Literatur bekannt, daher Erzfeindin von Semmelweis und außerdem eine wichtige Stimme in der von Ivo geleiteten Kulturredaktion. Schnell entspinnt sich ein wildes Netz der Verdächtigungen zwischen allen Beteiligten und solchen, die es noch werden wollen. Die gutmütige Nina wird von Ivo zur Ausforschung Trottas vorgeschickt, um dem Mörder auf die Spur zu kommen. Als jedoch der zweite Mord passiert, dreht sich das Rad der Verdächtigungen und die Verwirrung ist komplett.

Das Vergnügen des Autors an den verwickelten Umständen der „Betriebsstörung“ ist spürbar und mitreißend in seiner Rasanz. So sehr es dabei um den Literaturbetrieb und die Kritik an demselben gehen mag, es drängt sich doch immer wieder der Kampf der Geschlechter in den Vordergrund. Dieser wird in gewohnt direkter Weise abgehandelt, mit vielen pornographischen Details, da speziell die sexuelle Bedürfnisbefriedigung ständiges Thema zwischen den Freundinnen ist. Die besprochenen intimen Abneigungen und Wünsche bezüglich der technischen Abwicklung des Geschlechtsaktes fördern mehr Frust als Lust zutage. Eher traurig als komisch liest sich dieses Strampeln im Sumpf der Begierden, das Klammern an ein falsches Ideal der „wahren Liebe, die im Verborgenen blüht“, das schlussendlich zum Fallstrick wird.
Womit wir einem Gleichnis zum Literaturbetrieb auf die Spur kommen. Während den Freundinnen in einem ultimativen Schlagabtausch des Missverstehens ihre eigene Bedürftigkeit um die Ohren fliegt, fechten die angegrauten Dichterfreunde den Kampf um gute und schlechte Literatur aus. Und die Kritikerin, die ihre allzu radikale Meinung, nämlich dass die Literatur tot sei, äußerte, hat nun nichts mehr zu sagen, da sie leider tot ist.

Nach allen Regeln der satirischen Übertreibung benützt Gustav Ernst den Krimi für eine Abrechnung mit der Sinnentleerung des Literaturbetriebs. Beraubt man diesen des eigentlichen Ziels, nämlich der Produktion oder Konsumation von „Literatur“, bleiben nur die eitlen Monologe und leeren Dialoge einer „Show“, eines oberflächlichen Literaturmarktgeschreis übrig. Schon auch, aber nicht nur aus reinem Selbstschutz möchte ich daher Folgendes festhalten: Die Literatur ist nicht tot! … solange die Freude am Lesen lebt. Und das Buch als „Schlüsselroman“ zu lesen, sei allen gegönnt, die Freude am Entschlüsseln haben.

Gustav Ernst Betriebsstörung
Roman.
Wien: Sonderzahl, 2021.
252 S.; geb.
ISBN 978-3-85449-570-3.

Rezension vom 05.05.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.