#Roman

Beste Beziehungen

Gustav Ernst

// Rezension von Bernd Schuchter

Die Bestie im anderen – Beziehungsgeschichten am Abgrund der Menschlichkeit

Es sind bedrohliche Tendenzen in der österreichischen Gegenwartsliteratur auszumachen, die mehr und mehr eine abgründige, blutige und sehr fleischliche Literatur wird. In Lydia Mischkulnigs Schwestern der Angst war es ein Wahn von Schwesterliebe, der sich verselbstständigt, in Doris Mayers 365 einfach nur die gesellschaftliche Endzeit, die das Böse in den Menschen hervorholt. Nun also Beste Beziehungen von Gustav Ernst.

Es geht blutig, ernst und böse zu in Beste Beziehungen, der moderne Mensch ist einfach schlecht. Das Kunststück, das hier dem Autor gelingt, liegt darin, diese Bösartigkeit der Figuren nicht zu brechen. Hier gibt es weder Ironie noch eine Art Gerechtigkeit. Am Ende bleibt man mit den Grässlichkeiten, die Ernst minutiös beschreibt, als Leser allein. Dabei sind die Protagonisten in Beste Beziehungen durchaus durchschnittliche Menschen, etwa Lisa und Franz, die eine biedere Ehe mit Kindern und Eigenheim führen, wäre da nicht der unbändige Geltungsdrang Lisas, der Franz am Ende zu einem Amoklauf treibt. Oder Hanno, der einen gefühlskalten Patchworkversuch mit seiner Exfrau Sabine und seiner neuen Lebensgefährtin Franziska in ein und derselben Wohnung unternimmt. Oder Sigi, der ein Opfer der Globalisierung wird und eines Tages durchdreht. Das sind alles durchschnittliche Biografien, deren Leben kippt und die – allen gesellschaftlichen Konventionen zum Trotz – die Gewalt wählen. Gegen sich oder ihre Familie.

Sehr oft geht es bei Ernst auch um Sexualität und Gewalt und die Bedingungen, unter denen das eine das andere zur Folge hat. Es sind Abgründe, die beschrieben werden, es sind Übertreibungen. Seltsam bleibt, warum diese Gewaltorgien, diese Machtspiele, diese sexuellen Handlungen alle so detailgenau beschrieben werden müssen. Welche Erkenntnis zieht man aus dieser Lektüre, falls man nicht über die Beschreibungen hinwegliest? Der Ekel wird zur bestimmenden Lektüreerfahrung und das mag auch in der Absicht des Autors liegen, eine Erkenntnis zieht man daraus aber nicht.

Natürlich ist etwa der sexuelle Missbrauch eines siebenjährigen Mädchens durch ihren Onkel, einen Gymnasiallehrer, der einen Großteil des Buches einnimmt, im Detail ekelhaft und abstoßend. Der „gute“ Leser wähnt sich da in der Verurteilung des Täters auf der moralisch richtigen Seite. Aber wird man dabei als Leser nicht zwangsläufig zum Vouyeur, der nur noch die schlüpfrigen Stellen liest? Sitzt man da am Ende nicht selbst auf der Anklagebank, da man das Buch eben nicht zuklappt, sondern weiterliest?

Es mag sein, dass Gustav Ernst mit Beste Beziehungen gerade diese Abgestumpftheit durch den massenhaften Konsum von Gewalt und Sexualität in den Medien, insbesondere des Fernsehens, kritisiert; zweifelhaft ist, ob ein einfacher Spiegel, in dem man auf die menschlichen Abgründe blickt, genügt, um sich selbst zu erkennen.

Schade auch, dass manche Figuren ein wenig zu sehr überzeichnet sind, etwa der Politiker Jack, der in seinen Handlungen zu sehr dem Klischee entspricht. Aber vielleicht ist gerade in Zeiten eines KHG die Überzeichnung die ideale Annäherung an die Wirklichkeit.

Gustav Ernst Beste Beziehungen
Roman.
Innsbruck: Haymon, 2011.
211 S.; geb.
ISBN 978-3-85218-677-1.

Rezension vom 16.02.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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