#Prosa

Besser tot als nie

Lisa Lercher

// Rezension von Claudia Peer

Im Jahr der Fußball-EM 08 hat Lisa Lercher einen Band mit Kurzgeschichten vorgelegt, wovon eine mit „Entscheidungsmatch“, eine andere mit „Semifinale“ betitelt ist. In ersterer will sich Gerda an den „Stachel der Demütigung“ nicht gewöhnen. Nach einer abenteuerlich romantischen Nacht mit einem Fremden, vor dem sie sich noch rechtzeitig retten kann, findet sie in der Wohnung, früher als erwartet, ihren Mann Rainer vor. Der wütende Rainer brüllt, ballt die Faust und schlägt zu. Gerda rührt sich nicht mehr, liegt leblos da. Aus dem Nebenzimmer ist der Jubel nach dem Tor zu hören. „Wahnsinn, das musst du gesehen haben“, sagt er, als ob nichts geschehen wäre. Die Frau kommt zu sich, bündelt ihre Kräfte, will sich endlich wehren, endlich sich nicht mehr alles gefallen lassen, nimmt eine marmorne Skulptur vom Kamin und geht auf ihn zu, während das Fußballspiel im Fernsehen weiterläuft und seine Mannschaft gewinnt.

Um Mord und Totschlag, Hass, Neid, Intrigen und Unterdrückung geht es in allen diesen – trotzdem unterhaltsamen – Geschichten. Es ist bemerkenswert, wie gut die Autorin über die menschliche Seelenlandschaft, (Anti-)Kommunikation und das Schweigen in so manch ‚harmonischen‘ Beziehungen Bescheid weiß. Sie bedarf nicht vieler Worte, um zu beschreiben, was zwischen Menschen schief läuft und zu den schrecklichsten Taten führen kann. Man spürt, dass diese Geschichten stimmig sind, real, selbst wenn sie noch so abwegig scheinen. Hilfreich beim Schreiben sind der 1965 geborenen Autorin sicherlich die Erfahrungen und Eindrücke, die sie jahrelang in der Informationsstelle gegen Gewalt der österreichischen Frauenhäuser bzw. als Referentin im Familienministerium sammeln konnte.

Allerdings geht es in diesen Geschichten, von denen die meisten bereits in Anthologien veröffentlicht wurden, erst in zweiter Linie um Verbrechen an Frauen. Vielmehr stehen meist die Frauen selbst als Täterinnen im Brennpunkt. Der Grat zwischen einem langweilig dahinplätschernden Leben oder einem Opferdasein und einer Tat im Affekt ist sehr schmal. Lerchers Figuren springen über diese Grenze, machen sich strafbar, befreien sich.

In „Auf ewig dein“ lädt Erni den Afrikaner, der mit Schnitzereien vor der Tür steht, zum Essen ein. Sie werden zu einem netten Paar, trotz aller Unterschiede, Ernis eurozentristischer Perspektive und provinzieller Umgangsformen. Als Beamtin im Kunsthistorischen Museum, wo sie auch schon Löwen präpariert hat, kann sie es sich nicht vorstellen, mit dem Illegalen nach Schweden auszuwandern. Kurz entschlossen verfolgt sie ihren Plan, ihn für immer bei sich zu behalten. Details sollen hier erspart bleiben.

Unter Meeresrauschen cremt er ihr den Rücken ein. Die Versuchung ist zu groß: Er zwickt in die Speckfalte an ihrem Nacken. „Zweite Flitterwochen“, so der Titel. Lanzarote nach 15 Ehejahren. Sie fühlt sich vernachlässigt und übersehen, er sich von ihrer Fürsorge unterdrückt. Der Mordversuch an ihr misslingt, sie hingegen ist erfolgreich.

Gar nicht unsympathisch sind die Figuren, die hier Unheil anrichten: So z. B. die alte Frau, die Jogger mit ihrem Stock zu Fall bringt oder Maiglöckchen zwischen Bärlauch pflanzt („Erntedank“). Die Oma, die im Suizid-Chat andere dazu anspornt, es endlich zu tun („Ihr letztes Wort“). Lilli, die das Weingut des Vaters gegen ihre Schwester Fini verteidigt und dabei zur Mörderin wird („Wein, dicker als Blut“). Es sind keine augenscheinlichen BösewichtInnen, die hier gefährlich werden, sondern verzweifelte, naive, unbeholfene Menschen, deren Emotionen und Alltäglichkeiten sehr gut eingefangen werden. Einige der Geschichten sind leider zu kurz bemessen, sodass sich keine tiefer gehende, Bilder im Kopf spinnende, mitreißende Handlung ergeben kann. Es gelingt der Autorin aber immer wieder, diese Kurzform stimmig und rund auszuführen, wie z. B. in dem etwas längeren Text „In letzter Konsequenz“, in dem es um Mobbing der älteren Frau Hübner durch ihre jüngere Chefin Rosa geht. Gekonnt wird hier nachgezeichnet, wie es zu dem blutigen Ende kommen kann. Frau Hübner ist die duldsame, hilflose Heldin, die man anfeuern möchte, sich zur Wehr zu setzen – schockiert ist man am Ende aber trotzdem … „Wie weit darf man seine Unabhängigkeit verteidigen?“, fragt Eva Rossmann in der Einleitung zu diesem Buch. „Noch dazu, wo Frau gelernt hat, lieb zu sein. Lieb sein hat mit der Hoffnung zu tun, geliebt zu werden.“ Doch manchmal, wie es diese Geschichten hier vorführen, kommen eben auch die „Braven“ darauf, „dass man nie geliebt wird, nur weil man lieb ist“.

Lisa Lercher Besser tot als nie
13 Mordgeschichten.
Wien: Milena, 2008.
122 S.; brosch.
ISBN 978-3-85286-163-0.

Rezension vom 11.06.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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