So viel zur Verlässlichkeit dieses Buchs, das weitgehend Berta Zuckerkandls Selbstbiografie (1939) nacherzählt, immerhin mit ein paar Korrekturen von dort ganz offensichtlich falschen Daten. (Nacherzählen scheint ja Schultes Stärke zu sein.) Zum Verständnis des Verfassers für die Epoche eine andere Kostprobe: Für die Salzburger Festspiele hatte Karl Kraus „mal wieder nur Hohn und Spott übrig. Das war vorauszusehen; die Juden Hofmannsthal, Reinhardt und Berta Zuckerkandl ließen einem Antisemiten wie ihm gleichsam keine andere Wahl.“ (S. 192)
Dass Berta Zuckerkandl, hier gelegentlich liebevoll „Berta“ genannt (z. B. S. 208) – ein Brechmittel für Leser von Biografien -, als Schwippschwägerin von Clémenceau im Ersten Weltkrieg in österreichische Friedensbemühungen einbezogen war, weiß man; dieses (ihre Selbstbiografie nacherzählende) Buch erweckt aber den Anschein, sie wäre von den Tagen des Kronprinzen Rudolf bis zum März 1938 eine der zentralen Figuren der österreichischen Außenpolitik gewesen. Ob Schulte, der nur sekundäres Material verwendet hat, der Richtige für eine solche Revision der österreichischen Geschichte ist, mag man mit Fug bezweifeln.
Nun war Berta Zuckerkandl nicht nur gelegentlich in politische Aktionen involviert, sie war nicht nur eine „Betriebsnudel“ (S. 117) mit einem „Prominentenfimmel“ (S. 165), nicht nur eine Gastgeberin („Saloniere“), bei der sich viele bedeutende Menschen getroffen haben – das war sie selbstverständlich auch -, sondern sie war eine bekannte und mindestens bei Manchen angesehene Feuilletonistin und Kulturjournalistin. Über diese, die kulturgeschichtlich bei Weitem interessanteste Seite ihrer Tätigkeit, deren Darstellung freilich Lektüre und Analyse ihrer Texte verlangen würde und kaum durch Klatschgeschichtchen hätte angereichert werden können, erfährt man hier so gut wie nichts. Am Ende bleibt eben der Eindruck einer „Betriebsnudel“ mit „Prominentenfimmel“, einer Gschaftlhuberin und Wichtigmacherin – genau das Bild, das Karl Kraus von ihr zeichnet (allerdings viel geistreicher als Schulte). Quod non erat demonstrandum – wenn ich denn Schultes Einstellung zu „Berta“ nicht völlig missverstehe. Wer eine der heute populären Trivialbiografien mit kulturgeschichtlichem Hintergrund lesen will und in einer solchen mit ein paar (halbwegs) glaubhaften Hintergrundinformationen sich zufrieden zu geben geneigt ist, wen zudem sprachliche Schlamperei nicht abschreckt, den wird das Buch nicht langweilen, insbesondere dann nicht, wenn ihn auch Tratsch aus dem Umfeld (etwa über den Kronprinzen Rudolf oder die unvermeidliche Alma) reizt. Wer etwas über Berta Zuckerkandl erfahren will, für den heißt es weiterhin: ‚Bitte warten!‘ Dabei, das möchte ich, einer denkbaren Verteidigungsstrategie von Autor und Verlag vorweg widersprechend, ausdrücklich sagen, wird Schultes Werk hier nicht am Maßstab der Wissenschaftlichkeit gemessen, sondern an dem der Verlässlichkeit und der richtigen Setzung der Akzente, an Kriterien also, die auch für Sachbücher gelten.
In der Amazon-Statistik der Verkaufszahlen liegt das Buch derzeit auf Platz 182.266. Es wird also viel zu viel gekauft.