#Roman

Bei den Bieresch

Klaus Hoffer

// Rezension von Peter Landerl

Fast dreißig Jahre ist es her, dass Klaus Hoffers Roman „Halbwegs. Bei den Bieresch I“ erschienen ist. Das Buch kam 1979 bei S. Fischer heraus, Hoffer erhielt für seinen Debütroman den Rauriser Literaturpreis und von den Rezensenten Lob und Anerkennung. Vier Jahre später erschien der zweite Teil des Romans mit dem Titel „Der große Potlatsch“. Die Germanistik ist sich einig, dass beide Romanteile zu den wichtigsten Werken der österreichischen Nachkriegsliteratur gezählt werden müssen, den Weg zur breiten Lesermasse fand Bei den Bieresch aber nicht.

Das mag zwei Gründe haben: Zum einen gilt das Buch als schwierig, was stimmt und auch wieder nicht, es ist ein Roman, der mehr Fragen stellt als er Antworten gibt und den Leser im Ungewissen belässt. Der zweite Grund, warum das Buch nur noch Eingeweihten bekannt ist: Klaus Hoffer hat sich als Autor rar gemacht und war nicht bereit, die Spiele des Literaturbetriebs mitzuspielen, nämlich „nachzuliefern“ und Jahr für Jahr ein neues Buch mit lautem Getöse auf den Markt zu werfen. Hoffer hat wenig veröffentlicht, 1982 die Erzählung „Am Magnetberg“, 1986 die Poetikvorlesungen „Methoden der Verwirrung“ und 1991 den Essay „Pusztavolk“.

Wovon handelt Bei den Bieresch? Eine Inhaltsangabe zu geben, fällt schwer, hilfreicher ist es, die Ausgangskonstellation zu beschreiben: Hans, der junge Ich-Erzähler, wird zu den Bieresch in das Dorf Zick im burgenländischen Seewinkel geschickt. Dort hat er einem alten Brauch der Bieresch zufolge ein Jahr lang die Rolle seines verstorbenen Onkels, des Dorfbriefträgers, einzunehmen. Dass der Jüngling in diese Rolle gezwängt wird, ist nicht nur ihm nicht recht, sondern auch seiner Mutter: „Ihm stehlen sie die Zukunft, mir das Leben“, seufzt sie, als er sich auf die Reise zu den Bieresch macht. Dort angekommen, wird ihm ein kühler Empfang bereitet. Sogleich reden die Bieresch auf ihn ein, klären ihn über seine Rolle auf, belehren ihn über die Regeln ihres Volkes, die unbedingt befolgt werden müssen. Dabei sind diese Regeln – geschriebene und ungeschriebene Gesetze – bei Gott nicht einfach zu verstehen, sie sind paradox, voller Widersprüche, wollen interpretiert werden. „Ich bekam Heimweh nach meiner früheren Welt, in der nicht alles so schwer gewesen war. Hier kam mir alles so gewollt künstlich vor. Die Menschen verhielten sich nicht wie Menschen, die ihre ganz persönlichen Wünsche und Begierden hatten. Es war, als wären diese vor Tausenden von Jahren von ihnen abgefallen. Nichts war einfach, alles hatte Bedeutung.“ Der letzte Satz ist ein Schlüssel zum Verständnis des Romans: Nichts zeigt sich so, wie es ist. Oder, wie das Motto zu „Der große Potlatsch“ zu erklären versucht: „Unsere Geschichte ist der Knoten, der sich knüpft, wenn man ihn löst.“

Die Diskurse der Bieresch über ihre Vergangenheit und ihre Regeln machen einen Gutteil des Romans aus: In langen Monologen reden die Dörfler auf Hans ein, erzählen ihm Geschichten, Fabeln, Mythen und Legenden, die sie oftmals selber nicht verstehen. Die Bieresch sind besessene Erzähler, die zu keiner bindenden Identität finden, obwohl sie sich doch in einer Art Sisyphusarbeit unaufhörlich selbst befragen, als Verfluchte der Zeit. So meint die Tante zu Hans: „Auf uns liegt der Fluch seit dem allerersten Tag! Jede Zeile, jedes einzelne Wort in unseren Schriften verflucht den Bieresch. – Heimweh gibt es nur zuhause, sagen wir, weil wir nicht fort können von hier, weil wir auf ewig ins Labyrinth unserer unglücklichen Biereschgeschichte eingesperrt sind. Wir haben Heimweh nach uns selber, weil keiner sein kann, wie er ist, jeder bloß die Eigenschaft seiner Umgebung spielt.“

Am Ende des ersten Teils erhält Hans als Zeichen der Akzeptanz wie alle anderen Bieresch einen sprechenden Namen, nämlich „Halbwegs“. Auch im zweiten Teil „Der große Potlatsch“ ersetzen weitgehend Diskurse den Handlungsplot. Hoffer kommt aus der sprachskeptischen Tradition der österreichischen Nachkriegszeit. Er war lange Jahre mit den Grazer Manuskripten verbunden, hat die Linie der Literaturzeitschrift maßgeblich mitbestimmt, unter anderem den Protagonisten der Wiener Gruppe und den ihnen verbundenen Avantgardisten ein erstes wichtiges Publikationsorgan geboten. Diesen sprachkritischen Odem atmet auch Bei den Bieresch. Wenn der Sprache nicht zu trauen ist, ist auch dem Erzählten nicht zu trauen. Kafka ist ein Säulenheiliger Hoffers, der über ihn dissertiert hat, und er scheint auch in Zick ständig präsent zu sein: Wie in Kafkas „Prozess“ ist auch bei den Bieresch Schuld latent spürbar, sind die Grenzen zwischen Opfern, Angeklagten und Klägern verschwommen.

Es ist bemerkenswert, dass der Literaturverlag Droschl diese faszinierend-verwirrende, nicht zu verstehende, jedoch unheimlich anziehende Sinnsuche der Bieresch in ansprechender Gestaltung neu aufgelegt und den beiden Romanteilen ein lesenswertes Nachwort von Heinz F. Schafroth beigegeben hat. Es ist wirklich zu wünschen, dass Bei den Bieresch viele neue Leser findet. Die Gefahr, dass das Werk im Wust der Neuerscheinungen untergeht, ist leider trotzdem groß – weil die Bieresch nach ihren eigenen Gesetzen leben.

Klaus Hoffer Bei den Bieresch
Roman.
Graz, Wien: Droschl, 2007.
269 S.; geb.
ISBN 978-3-85420-718-4.

Rezension vom 26.03.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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