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#Prosa

Bauernkriegspanorama

Kathrin Röggla

// Rezension von Erkan Osmanovic

Vor, zurück – und nochmal

„Einmal war ich unterwegs in dem Bild, habe gesucht nach deinem Aufenthaltsort, bisher habe ich ihn auch noch nicht gefunden. Ich konnte ihn mir einfach nicht ausmalen. Die Menschendichte ist auch zu hoch, tröstete man mich, das habe ich nicht verstanden, aber ich habe erkannt, du hast dich gewehrt, du hast es zustande gebracht, dass sich dort etwas ändert, in deinem Betrieb, in deiner Schule, in deiner Nachbarschaft, ja in der Stadt, du hast das Miteinander aufgegriffen, die zähe Aushandlung zwischen den Beteiligten, und das, was daraus entstand, wurde groß.“

In ihrem Essay Bauernkriegspanorama sucht Kathrin Röggla nach der Gesellschaft: den Menschen, Ängsten und Hoffnungen. Die in Berlin lebende Autorin versucht sich an einem Panorama der Schar an Lautstarken und Stillen. Die Gesellschaft und alles, was mit ihr zu tun hat, auf einem Standbild festhalten – geht das überhaupt? Nein. Auch Röggla zweifelt daran.

Wie sollte man auch einen Schnappschuss von unserer Welt, gar deren BewohnerInnen machen? Denn unsere Gesellschaft, mit all den Newsfeeds und Push-Nachrichten, kennt kein Vorher und Nachher. Wir sind im Zeitalter der Ruhelosen, wenn wir auf die Straße treten, kämpft man – oder doch wir? – um unsere Aufmerksamkeit:

„Zwar sind auch Jahreszeiten auf diesem Bild verteilt, sie regeln die Sichtbarkeit des Verlaufs nach wie vor, geben durchaus dramaturgische Schützenhilfe, allerdings nur oberflächlich, denn der Ablauf eines Jahres korrespondiert nicht mit den Millisekunden der Börse, nicht mit den das menschliche Verständnis von Kausalität überschreitenden Vorgängen, diesen passgenauen Entscheidungen unserer technischen Geräte, von denen es heißt, sie seien Tools. »Von sowas kommt sowas«, ist ein Auslaufmodell, das allenfalls in den Amtsgerichten der Städte noch mühsam aufrechterhalten wird.“

Das eigentliche Bauernkriegspanorama stammt vom deutschen Maler und Kunstprofessor Werner Tübke (1929-2004) und steht in dem eigens dafür entworfenen Panorama-Museum in der thüringischen Kleinstadt Bad Frankenhausen. In dem Panoramabild verwebt Tübke den Kampf des Reformators und Revolutionärs Thomas Müntzer mit den gesellschaftlichen Zerwürfnissen und Krisenherden der 1970er und 80er Jahre.

Müntzer stellte, anders als Martin Luther, nicht nur Fragen an die Kirche, sondern griff zum Schwert und kämpfte gegen die Leibeigenschaft und für die Benachteiligten und Bauern. Die Obrigkeit sollte im Kampf gegen die soziale Ungleichheit gestürzt werden. Tübkes Bauernkriegspanorama hält die Schlacht bei Frankenhausen 1525 fest, bei der Thomas Müntzer gefangen genommen, gefoltert und hingerichtet wurde.

Auch Röggla zeichnet die Frontlinien der Gesellschaft auf: Stadt und Land, Rechts und Links, ProduzentInnen und KonsumentInnen. Doch schnell wird klar: die Feuerlinie zu ermitteln ist schwer. Ja, man sieht sie eigentlich nicht mehr. Die Hilflosigkeit der politischen Mitte und die Frage nach der eigenen Haltung inmitten des Panoramas tun ihr Übriges.

Nationalismus, Leiharbeit oder die versteckten RetterInnen der gesellschaftlichen Moral – das alles verknüpft Kathrin Röggla zu einem Essay, der nicht abgeschlossen scheint. Die Zeilen oszillieren zwischen dem Allgemeinen und dem Speziellen. Dadurch gelingt dem Text ein Meisterstück: er passt sich dem Weltgeschehen an. Das Bauernkriegspanorama aktualisiert sich selbst durch die Welterfahrung seiner LeserInnen.

Doch obwohl im öffentlichen Raum die Transit-Zonen der Moral schwinden und die Fristen richtigen Handelns knapper werden, schimmert Hoffnung durch den Essay:

„Die Menschendichte ist auch zu hoch, tröstete man mich, das habe ich nicht verstanden, aber ich habe erkannt, du hast dich gewehrt, du hast es zustande gebracht, dass sich dort etwas ändert, in deinem Betrieb, in deiner Schule, in deiner Nachbarschaft, ja in der Stadt, du hast das Miteinander aufgegriffen, die zähe Aushandlung zwischen den Beteiligten, und das, was daraus entstand, wurde groß. Als man sah, dass du nicht im Spektakel der Medien untergehen würdest, weil du nicht einzeln warst, hat man Gegenmaßnahmen ergriffen, die dich lange nicht erreichten, weil du nicht einzeln warst.“

Die Mischung aus Zeitdiagnostik und großartigem Schreiben wird es auch gewesen sein, die die in Frankfurt ansässige Crespo Foundation veranlasste, das Bauernkriegspanorama mit dem WORTMELDUNGEN-Literaturpreis 2020 auszuzeichnen.

Denn der Essay führt vor Augen, welche Vorstellungen von Gesellschaft wir alle mit uns tragen. Dieses Bild sitzt als Brille auf unserer Nase. Was wir ansehen, sehen wir nur durch sie. Wir kommen gar nicht auf den Gedanken, sie abzunehmen. Kathrin Rögglas Bauernkriegspanorama lädt dazu ein, die Brillengläser hin und wieder zu säubern.

Bauernkriegspanorama.
Essay.
Berlin: Verbrecher Verlag, 2020.
64 Seiten, gebunden.
ISBN 9783957324504.

Homepage der Autorin

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 16.11.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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