Man hat eine spannende Arbeit vor sich, einen augenzwinkernden Streifzug durch die typischen Topoi der heutigen Sci-Fi-Literatur, der ihre Mechanismen bloßlegt, ohne dabei auf Kosten des Lesevergnügens zu gehen, ein Büchlein, von dem man vor allem anderen erfreut sagen kann, daß es nicht so tut, als sei es ein weißgottwie tiefsinniger Geniestreich. Man schlägt also in solchem Bewußtsein eine der letzten beiden Storys auf, die noch ungelesen sind („Zeitsprung“), und – erschrickt.
Fleischer verfügt, wie gesagt, über einen satirischen Tonfall, mit dem er im Fall der Titelstory „Basic Reality“ so treffend eine ebenso plausible wie erschreckend banale „Schattenseite“ der Cyberpunk-Utopien zeichnet, über ein anzügliches Lächeln, mit dem er in „Begegnung mit dem Bruder“ die allzumenschlichen Unwägbarkeiten bloßlegt, die ein weiteres Fortschreiten der Reproduktionstechnologie so mit sich zu bringen verspricht, und schließlich über eine Genauigkeit, mit der er uns beispielsweise das „neue Proletariat“ vor Augen führt, das im Begriff ist, sich zu bilden.
Und die Anwendung aller dieser Tugenden ist ihm in der thematisch wahrscheinlich einzig so richtig problematischen Geschichte dermaßen gründlich mißglückt, daß der Text sich liest wie eine Affirmation des Vater-Tochter-Inzests unter besonderer Berücksichtigung der Tatsache, daß das Inzesttabu ein zivilisatorischer Zwang sei bzw. ist, Aspekt einer beschissenen Welt (diese letztere Facette offenbart sich am schnellsten und nachhaltigsten dem strukturalistischen Analytiker des Textes und vor allem der Handlungsfolie).
Es braucht einen großen Haufen „wenns“, um der Erzählung die Distanz zu ihrem Sujet zurückzugeben, etwa: „Dies ist die buntpoppige Betrachtung einer Welt, die u. a. eine intelligente Dreizehnjährige seelisch so entstellt, daß sie tatsächlich so denkt, fühlt und sich verhält, wie der durchschnittliche Playboy-Leser glaubt, daß alle Frauen denken, fühlen und sich verhalten.“ oder: „Hier geht es um unseren Zivilisationsdiskurs: Würde die Zivilisation wegfallen, würde es uns trotzdem seltsam vorkommen, wenn Väter mit ihren Töchtern schlafen.“
Daß alle diese Annahmen von Fleischer intendiert waren, spielt keine Rolle. Denn so, wie die Geschichte „Zeitsprung“ sich tatsächlich liest, ist sie eher geneigt, als literarische Masturbations- und Rechtfertigungsvorlage für potentielle Kinderschänder zu dienen, als die angeschnittenen Fragen im Lichte der Satire zu zerpflücken.
Mein Erschrecken gilt weniger dem Autor, dem ich kaum einen Vorwurf mache: Gerade im Fall einer heiklen Thematik ist es nicht unentschuldbar, wenn ihm die Hand ausrutscht und er es nicht fertigbringt, sein Repertoire an verfremdenden Stilmitteln in gewohnter Weise zu entfalten, es ist sogar denkbar, daß er diese Tatsache völlig übersieht, hat er doch vielleicht an dem Text solange herumgefeilt, bis er „betriebsblind“ war. Aber der Verlag, genau darin besteht seine Verantwortung, hätte ihn darauf hinweisen und ihn zur Überarbeitung drängen müssen, nötigenfalls sogar den Text aus der Sammlung nehmen.
Nachdem das Buch aber so vorliegt, wie es vorliegt, scheint es mir angebracht, den Band – und vor allem „Zeitsprung“ – den mündigen Lesern und Literaturwissenschaftlern dieser Welt zur besonderen Beachtung und Diskussion zu empfehlen. Wache Lektüre und öffentliche Debatte kann hier verhindern, daß der Text den falschen Leuten als Denk- und Rechtfertigungsmodell dienen muß. Ganz abgesehen davon: Alle anderen Texte in Basic Reality sind dem „Zeitsprung“ zahlenmäßig 15:1 überlegen und machen viel Spaß. Gerade auch dem mündigen Leser!