#Prosa

Bagatellen

Simon Konttas

// Rezension von Andreas Tiefenbacher

Dass es nicht leicht ist, ein Leben auf Höhe der eigenen Vorstellungen zu führen, wird in diesen 17 Erzählungen schnell klar. Dem darin vorgeführten Personal bleibt die Hoffnung, sie irgendwann vielleicht doch realisieren zu können. Aber schnell geht das halbe Leben vorbei, ja „quält und zerknirscht“ einen das Alter. Und dann taucht auch noch das Gefühl auf, dass irgendwie „nichts weitergegangen“ ist. Man weit und breit „nur Enge, Kleinheit, Alltag“ spürt und glaubt, es würde einem die Luft zum Atmen fehlen.

Verständlich, dass so jemand dann Glück eher bei den anderen als bei sich selber ortet. Babette Sagritsch in „Flimmernde Stille“ ist ein typisches Beispiel dafür. Die Absolventin einer Tourismusfachschule fragt sich am Grab ihres Vaters, warum nicht sie in einem großen IT-Büro in Chicago sitzt und „gutes Geld“ verdient, sondern ihr Neffe Rainer, der so ein schlechter Schüler gewesen ist. Außer einer öden Wohnung, einem Hund und dem Fernseher, der „täglich mehrere Stunden lang läuft, um die Stille zu übertönen“, hat sie eigentlich nichts, auf das sie stolz sein kann. Sie ist arbeitslos und fällt auch noch ständig auf Männer herein, die ihr den Himmel auf Erden versprechen. So ist ihr Leben „ein einziger grauer Herbsttag“.

Wie sich so einer anfühlt, weiß auch Gerlinde Berger in „Lust aus Leid“. Scheidung und anschließendes Fernbleiben der Tochter haben sie „etwas eigen und gehässig“ gemacht, ja eigentlich in ein verwundetes, bissiges Tier verwandelt, dem viele Menschen lieber aus dem Weg gehen.
Überhaupt begegnet man in diesen „Bagatellen“ einer ganzen Reihe recht unangenehmer Personen. Schlimm wird es dann, wenn man so einer auch noch verfällt wie Hélenè in „Lebendiges Opfer“. Dass sie sich von einem „gefühllosen Egoisten“ zum Wrack machen hat lassen, kann sie sich gar nicht verzeihen.
Wer will auch schon gern den Launen eines Mannes als Spielzeug gedient haben? Und wer gar den Launen einer Familie, wie es Mara in „Auch eine Kindheit“ passiert? Nach dem Tod ihres Vaters wird das Mädchen von ihrer Tante Elisabeth aufgenommen. Doch weil sie bloß in die Hauptschule geht, will Mara nicht so recht zum erfolgreichen Leben ihrer Anverwandten passen und wird daher von ihnen drangsaliert, vertreten diese doch die Ansicht, dass sie mit ihrer „Dummheit die ganze Familie durch den Dreck“ zieht. Sie sehen in ihr einen „Schandfleck“. Deshalb darf Mara auch niemanden einladen, muss andauernd in ihrem Zimmer sein, lernen und alleine in der Küche essen.
Diese Maßnahmen sollen helfen, Mara zur Vernunft zu bringen. Kusine Dora findet sogar, man müsse mit Gewalt gegen sie vorgehen.
Derart grobe Behandlung hinterlässt Spuren: äußerlich wie innen drinnen. Und dort, wo „in einem Anfall unbeherrschter Wut“ richtig Aggressionen frei werden, begegnet man ihnen umso deutlicher. „Schwierigkeiten im Leben“ spielen dabei immer eine Rolle. Ihrer facettenreichen Darstellung widmet sich Simon Konttas mit großer Empathie. Individuelle Defizite und Probleme tauchen darin auf, denen der Autor breiten sprachlichen Raum gibt. Als „geringfügige Angelegenheiten“, wie der Duden in seiner Bedeutungsübersicht vermerkt, erweisen sich diese Bagatellen aber höchstens in den ersten paar Sätzen. Je weiter das Geschehen voranschreitet, umso mehr tun sich hinter den anfangs wenig gefährlich scheinenden Alltagsszenerien psychische Verwundungen, ja Abgründe auf. Kein Wunder, dass beim Nachdenken über das Leben so manche ProtagonistInnen „ein plötzliches Unbehagen“ befällt, fällt der Blick doch in ein klaffendes Loch, aus dem heraus ihnen ein Minderwertigkeitskomplex (resultierend aus abgebrochenen Ausbildungen, Psychiatrieaufenthalten und zerbrochenen Partnerschaften) entgegenstarrt.

Das Nicht-Erreichte genauso wie das Verlorene sind vordergründige Themen dieser Geschichten. In der Erzählung „Illusionen“ vermengen sie sich auf stilvolle Weise. Es geht darin um den Traum vom freien Künstlerleben: Als in einer Ausstellung seine Bilder lobenden Anklang finden, denkt Rezeptionist Gustav Klein daran, diesen Traum endlich in die Tat umzusetzen. Schließlich ist er schon 44. Das Ziel schon vor Augen, sieht er dennoch keine Möglichkeit es zu realisieren. Es offenbaren sich ihm nur zwei Wege: „entweder sterben (…) oder verrückt werden.“ Nicht gerade die erstrebenswertesten Ziele. Aber ist ein Leben voll Leistung und Arbeit oder eines voller Fragen, warum man nicht an Pressekonferenzen in Paris teilnimmt, nicht schon zehn Liebhaber, eine leitende Funktion in einem deutschen Krankenhaus gehabt oder ein Buch geschrieben hat, die gar so bessere Alternative?
Simon Konttas liefert zu diesen Spannungsfeldern beeindruckende Porträts. Es handelt sich um fein gesponnene und alles andere als sparsam ausgestattete Bilder einer Mittelschicht, die sich, wenn sie manchmal nichts hat, worauf sie stolz sein kann, auf ihr „Lasteselstum“ zurückzieht, auf Geduld, Beharrlichkeit und Fleiß. Nicht immer scheinen diese drei Eigenschaften aber zu genügen. Das zeigt der Autor auf einprägsame Weise.

Simon Konttas Bagatellen
Erzählungen.
Klagenfurt: Sisyphus, 2016.
282 S.; brosch.
ISBN 978-3-903125-01-8.

Rezension vom 12.12.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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