#Prosa

Bählamms Fest

Olga Neuwirth

// Rezension von Christiane Böhler

Bählamms Fest ist nicht nur der Titel des Buches. Es ist auch der Titel der ersten großen Oper bzw. des ersten großen Musiktheaters, das Olga Neuwirth komponiert hat. Und so wie der Titel gleich zweifach verwendet wird, ist auch der Einstieg ein Doppelter: 15.10.1997. Wir steigen ein ins Auto nach Venedig mit Frau Olga Neuwirth und wir steigen ein in die Welt der Komponistin Olga Neuwirth. Unmittelbar sind wir im Leben einer Frau und im Leben einer Komponistin. So ist das Buch insgesamt eines, in dem zwei Welten sich beschreiben: die der Privatfrau und die der Komponistin.

Tagebuchartig, d.h. in unregelmäßigen Abständen und Ausmaßen, mit Datum versehen, aber nicht rückblickend, sondern im Präsens, uns somit direkt Teil haben lassend, notiert Olga Neuwirth, was sie von Oktober 1997 bis Februar 1999 bewegt. Dabei erfahren wir immer wieder – und das sind die wirklich ertragreichen Passagen – wie Olga Neuwirth sich als Künstlerin versteht: „Als Komponistin, als Künstlerin versuche ich natürlich der Realität, in der ich lebe, aus meinem Bewusstsein heraus Gestalt zu geben und meine Art von Blick auf die Welt auszudrücken, nur: ich kann die Perspektivenlosigkeit unserer Generation (wir hatten wohl gar nie eine Perspektive) am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mit eindeutigen Aussagen beschreiben, sondern eher mit Schnappschüssen, nicht-linearen Abfolgen und nicht-kausalen Verknüpfungen.“

Stets setzt Olga Neuwirth sich auseinander mit Figuren und ihren klanglichen Ausbildungen, doch ihr idealistisches Bestreben wird immer wieder von pragmatischen Ansprüchen überholt: „Wenn es [das 7. Bild von Bählamms Fest] klassisch durchgestützt wird, klingt es sicherlich lächerlich und nicht so berührend, aber man kann ja nicht alles haben, aber das wäre zumindes mein Wunsch.“ Und an den alltäglichen Mühen andererseits wird deutlich, dass Komponieren auch „nur“ ein Beruf ist, der zu Arbeit verpflichtet, die man allzu menschlich allzu gerne aufschiebt: „Wohnung putzen als mechanische Ablenkung, damit ich nicht sofort zu komponieren anfangen muss, obwohl mir die leeren Partiturseiten schon entgegenschreien.“ Und als wäre die Arbeit selbst nicht schon anstrengend genug, so tragen die Medien das ihre dazu bei und machen ihr das Leben schwer: „Diese Neue Musik-Abneigung ist doch schon bald krankhaft …“ Da muss man schon mit Elfriede Jelinek in Verbindung gebracht werden können, damit man wenigstens dabei sein darf. So oft Olga Neuwirth die Leserin auf die Künstlerin blicken lässt, ist eine ernsthafte, um ihr Werk bemühte, ja sogar besorgte Person zu erkennen, die viele und nicht immer angenehme Zugfahrten, ständige Ortswechsel und viel Ärger mit den Konzerthäusern auf sich nimmt, um ihre Kompositionen gut aufgehoben zu wissen.

Das ist die eine Welt, die der Komponistin. Die Welt, die noch nicht so sehr darunter leidet, dass Olga Neuwirt „kein Mensch der Sprache“ ist – „wohl auch ein Grund, warum ich Komponistin geworden bin.“

Die andere Welt aber, die der Privatfrau, scheint darunter zu leiden, dass die Sprache nicht das Medium ist, durch das sich Olga Neuwirth finden oder erklären kann. Hier zeigt sich schlicht, dass es nur Tagebuchaufzeichnungen sind, die sich hinter der Beschriftung „Arbeitsjournal“ verstecken. Das heißt auch: Wir dürfen keine allzu großen sprachlichen Ansprüche stellen. Selten werden Tagebücher mit der Absicht geschrieben, später einmal veröffentlicht zu werden. ‚Später‘ heißt im Falle von persönlichen Aufzeichnungen ohnehin meist posthum. Um so spannender ist daher die Frage, was Olga Neuwirth mit der Preisgabe ihrer Freuden, Sorgen und Ängste, Abwehr- und Bewältigungsmechanismen rund um die Entstehung von Bählamms Fest beabsichtigte. Wenn es nur um die tatsächlich tiefen Einblicke in den Musikbetrieb gegangen wäre, hätte sie ihr Innerstes zurücknehmen können, hätte sie diese zweite Welt dunkel belassen können. Wenn es ihr nun aber doch auch um Olga Neuwirth als Mensch geht, so ist es wirklich schade, dass uns diese intime Welt in Talkshowmanier nähergebracht wurde.

Dass Olga Neuwirth schon während der Aufzeichnungen mit einer Veröffentlichung liebäugelte, könnte neben anderen Passagen die Folgende belegen: „Ich habe ihn [Name] zweimal in Paris gesehen und gesprochen, einmal mit meinem Lehrer Murail, mit dem er die école der ‚musique spectrale‘ gegründet hatte, und mit Ed Campion, dem Grisey-Schüler, bei einem Portrait-Konzert von Grisey.“ Warum, wenn nicht für die Leserin, erklärt man in persönlichen Aufzeichnungen wann und wo man eine Person kennen gelernt hat und in welchem Dunstkreis sich diese bewegt? Oder man fragt sich, wozu die Menschen, die sie nach Venedig begleiten, die nun wohl keine Fremden sein können, mit Nachnamen genannt werden müssen. Vielleicht ist dies aber nur ein weiteres Indiz dafür, dass Olga Neuwirth sehr viele Bekannte zu haben scheint, sich aber dennoch in keiner Beziehung wähnt.

Olga Neuwirth besitzt fast kindlichen Humor: „Wieder einmal schleppe ich mich mit meinem Gepäck (warum ist es nur immer so schwer?) fast zu Tode. Die Arme sind bestimmt etwas länger geworden.“ Doch ist sie auch geplagt von Antriebslosigkeit und depressiven Schlafphasen. So hört man, wenn man die letzte Seite gelesen hat, fast Barbara Karlich fragen: Geht es Ihnen nun besser? Wird Ihr Selbstwertgefühl in Süd-Marokko ein gesteigertes sein? Der Leserin geht es nach der Lektüre wie den TalkshowzuschauerInnen nach der Sendung, wenn der Schlussjingle und die Vorschau auf das nächste ergreifende Thema anläuft. „Morgen werde ich eine Reise nach Süd-Marokko buchen, wo gerade das echte ‚Fest des Lammes‘ (die armen Lämmchen!) stattfindet, und auf die Spuren von Pasolini gehen …“ Wir haben Mitleid und sprechen trotzdem Bewunderung aus für den Mut sich zu öffnen, müssen sie aber alleine weiterziehen lassen. Und wir wissen nun mit hoher Gewissheit, dass Olga Neuwirth auch nur ein Mensch ist, der Maskottchen besitzt („zwei Wollschafe „), Kavaliersdelikte verübt („mit einer gestohlenen Rose zur Einladung“), Selbstzweifel hegt („Konnte ich dadurch mein Selbstwertgefühl vergrößern?“), sich vor der Sinnlosigkeit fürchtet („Angst vor der Leere, dem quasi normalen Leben.“) und die Tendenz besitzt, sich mit Alkohol zu belohnen: „Freue mich und geh in Harry’s Bar, um mir Bellinis und Martinis zu gönnen.“

Was bleibt – und auch darin gleicht das Lesen dieser Aufzeichnungen dem Zuhören einer Talkshow -, ist der Eindruck, den wir in diesem Falle von der Person Olga Neuwirth bekommen, und das Unverständnis über die Methode, durch die man diesen Eindruck gewonnen hat. Kein Wunder, dass Elfriede Jelinek im Nachwort von der Musik und nicht von der Sprache der Olga Neuwirth schreibt.

Olga Neuwirth Bählamms Fest
Ein venezianisches Arbeitsjournal 1997-1999.
Mit einer Skizze von Elfriede Jelinek.
Mit einem Nachwort von Thomas Jonigk.
Graz, Wien: Droschl, 2003.
279 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-85420-639-9.

Rezension vom 04.01.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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