#Roman

Bacons Finsternis

Wilfried Steiner

// Rezension von Sabine Dengscherz

Ein Mann wird von seiner Frau verlassen und badet im Schmerz. Ein klassisches, ein alltägliches, ein banales Motiv? Selbstmitleid, ironische Distanz des Erzählers, Abhandlung alltäglich menschlicher Schwächen. Et cetera, et cetera. Nicht schon wieder – meinen Sie?

Bei Wilfried Steiner wird es aber nicht langweilig. Sicher nicht. Denn was macht der Verlassene mit seiner Trauer? Er klammert sich an einen Strohhalm. Und in Bacons Finsternis kommt dieser aus der Hölle. Oder aus dem Künstlerhimmel. Ein Strohhalm jedenfalls, der dem Ich-Erzähler recht zufällig in die Quere kommt: „Warum es mich an diesem eiskalten Jännernachmittag ins Kunsthistorische Museum verschlagen hatte, weiß ich heute nicht mehr.“ (S. 35)
Eigentlich sollte Arthur sich eher wieder einmal in sein Antiquariat in der Wiener Margaretenstraße begeben, das er seit Wochen und Monaten sträflich vernachlässigt, was nur deshalb wenig konkrete Probleme macht, weil seine Geschäftspartnerin Maia ohnehin ein besseres Händchen fürs Geldverdienen hat als er selbst. Arthur ist einer jener Antiquare, die ihre allerschönsten Bücherschätze zu Hause im Kasten verstecken, damit sie ihnen nicht ein x-beliebiger Kunde vor der Nase wegkauft.
Feinsinnig? Ja.
Kauzig? Ja, auch das.

Dass es ihn aber an jenem Jännertag im Museum ausgerechnet in eine Ausstellung des irischen Malers Francis Bacon (1909-1992) verschlägt, ist zunächst Zufall: „Ich kannte die Bilder Bacons gerade so gut, wie es für meine Arbeit erforderlich war. Für die Kunstkunden war Maia zuständig.“ Aber es dauert nicht lange, und er verliert sich mit Haut und Haar in Bacons düstere Welten.
Triptych May-June 1973 ist das erste Werk, das sich seiner bemächtigt. Hinter dem wenig aufschlussreichen Titel verbergen sich drei Bilder, die einen Mann beim Sterben zeigen: George Dyer, der einstige Freund und Geliebte des Malers hatte sich das Leben genommen. Aber das erfahren wir erst später, wenn Arthur mehr und mehr die Spuren der Bilder und ihres Schöpfers aufnimmt, ihnen nachreist nach Basel, Berlin und London, bis ihn seine Spürnase auch in die Sphären von Schmuggel, Kunstraub und nicht immer ganz koscheren Sammlerkreisen führt. In denen neuerdings auch seine Verflossene Isabel verkehrt …

Faszinierend an Bacons Finsternis ist nicht zuletzt die Art und Weise, wie sich Bildbetrachtung und Romanhandlung ergänzen, wie die Gemälde den Protagonisten nach und nach in ein keineswegs nur geistiges Abenteuer ziehen, wie sprachliche und darstellende Symbolik Hand in Hand gehen, wie kraftvoll die Bilder beim Lesen vor dem inneren Auge erscheinen und wie der Leser ebenso in den Text gezogen wird wie der Betrachter in die Gemälde. Und diese sind keineswegs prahlerisch-intellektuelles Schmuckbeiwerk, sondern essentieller Teil der Handlung.
Sei es, dass Arthur beim Betrachten der Porträts von Isabel Rawsthorne einen böswilligen Flügelschlag des Schicksals zu verspüren meint: Wo er hingeht, verfolgt ihn der Gedanke an Isabel, auch das Museum bietet kein Entkommen, da schaut eine andere Isabel von der Leinwand auf ihn herab, und das alles andere als distanziert: „Die schiere Lebensgier platzte dieser Frau aus allen Ritzen und Falten ihres Gesichts.“ (S. 41)
Oder sei es, dass Francis Bacon in seinen sinistren Bildern genau das Leben ohne Sinn und Erlösung auf die Leinwand bannte, das der verlassene Arthur am eigenen Leibe spürt. Den Figuren Bacons scheinen zuweilen wichtige Körperteile zu fehlen und auch Arthur empfindet das Fortgehen Isabels nicht wie „eine Wunde“, sondern wie eine Amputation: „Es ist als fehlte mir ein Arm oder ein Bein.“ (S. 47)
Bacon setzte sich in seinen Bildern wiederholt mit dem menschlichen Körper auseinander, auf gegenständliche, aber doch auch surreal, traumhaft verfremdete Weise. Die Figuren sind deformiert, verstümmelt, orientierungslos, Ungeheuer aus dem Unbewussten. Man kann sich Francis Bacon gut in Tanger vorstellen, trinkend zusammen mit William Burroughs. Aus den Gemälden schreit etwas wie ein Urschmerz.

Steiner lässt seinen Protagonisten in diese Verzweiflung eines anderen hineinkippen, sich in ihr fürchten und sie mit seiner eigenen verbinden, gemildert aber doch durch den Kunstgenuss des Galeriebesuchers. Auch ist der Schmerz im Roman zuweilen ironisch gebrochen. Wie etwa in der Szene, als Arthur die Metapher eines aztekischen Opferrituals heranzieht, um seinen Zustand zu beschreiben. Während er seiner Geschäftspartnerin Maia schildert, wie ihm das Herz aus lebendigem Leibe geschnitten wird, legt die Kellnerin ein Messer vor ihn auf den Tisch. Und eine Gabel.
Eine Szene wie Quentin Tarantino sie gedreht haben könnte.

Düsterkeit und Gewalt paaren sich mit dem Grotesken und haben viele Gesichter in Wilfried Steiners Roman; nicht nur in Bacons Gemälden.
Das Sinistre ist allgegenwärtig, etwa wenn der Protagonist eines seiner Lieblingsbücher wiederliest: Hanns Henny Jahnns „Fluß ohne Ufer“. Oder wenn er an die vielen Filmabende mit Isabel denkt – die Ex-Frau ist wissenschaftliche Expertin für Horrorfilme. So lässt sich grausame Erinnerung auch immer wieder mit grausamen Szenen verknüpfen. Und „Hochkultur“ mit „Trash“. Der Protagonist gruselt sich vor den Bodysnatchern und Aliens, sinniert über T.S. Eliots „Waste Land“, und Wilfried Steiner ist sicherlich der erste österreichische Autor, der Peter Jacksons Splatter-Frühwerk „Braindead“ in einem Roman erwähnt, bevor er seinen Helden den Gemälden nachlaufen lässt wie Hinweisen in einer Schnitzeljagd. Bevor Arthur ein Bild wiederfindet, das er gesucht hat und besuchen wollte, entdeckt er schon das nächste, und das fasziniert ihn mindestens ebenso wie das erste, wenn nicht noch mehr.

Das macht den Ausblick vielleicht sogar versöhnlich. Der Tag wird kommen, an dem er nicht nur für ein neues Bild offen sein wird, sondern auch für eine neue Frau. Aber zuerst muss er noch herausfinden, ob seine Ex tatsächlich dabei ist, sich in einen Kunstraub verwickeln zu lassen.

Wilfried Steiner Bacons Finsternis
Roman.
Wien: Deuticke, 2010.
287 S.; geb.
ISBN 978-3-552-06144-6.

Rezension vom 04.08.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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