#Roman

Aztekensommer

Christoph Janacs

// Rezension von Helmut Sturm

Aztekensommer ist ein dickes Buch. Da es sich allerdings nicht um einen Roman im herkömmlichen Sinn mit einer durchgehenden Story handelt, sondern der Band aus vielen verschiedenen Elementen besteht, muss man ihn auch nicht in einem durchlesen, kann ihn sozusagen häppchenweise konsumieren.

Christoph Janacs ist ein vorzüglicher Kenner Mexikos, er hat in den neunziger Jahren einen längeren Studienaufenthalt in diesem (nord-?) mittelamerikanischen Land verbracht und umfangreiche Recherchen betrieben. Dieser Roman ist der Versuch, Erfahrungen, Erlesenes, possible worlds und Faktisches über Mexiko zusammenzubringen. In drei Abschnitten „Templo mayor“, „Salsa roja“ und „Chac Mool“ begegnen wir einer Vielfalt literarischer Formen, die herkömmliche Erzählung, (Bild-)Beschreibung, Impressionen, Dialoge, Tagebuchnotizen, Drehbuch und Gedichte einschließt.

Der erste Abschnitt beginnt mit dem Landeanflug des Flugzeugs auf die Megalopolis-Hauptstadt, die auch der Ort der Einträge zu diesem Teil ist. Schon hier werden wir mit dem Schriftsteller Ricardo und seiner Haushälterin Rosa, dem Lebenskünstler El Loco, Slum-Bewohnern und einer namenlos bleibenden „Sie“ bekannt gemacht, Personen, die immer wieder aus den unterschiedlichen Texten sprechen und so zusammen mit wiederkehrenden Leitmotiven ein kaleidoskopisches Ganzes, in dem die Einzelteile verbunden sind, entstehen lassen.

Handlung im vertrauten Sinn enthält reichlich der zweite Abschnitt „Salsa roja“. Hier lesen wir von mexikanischen Erfahrungen eines wagemutigen Touristen, zu denen Erlebnisse mit der Polizei, der Überfall auf einen Überlandbus, scharfes Chili im unheimlichen Dorfwirtshaus, die Begegnung mit einer fremden Volksfrömmigkeit und dem Bürgerkrieg gegen die indigenen Bewohner gehören. Der Ort des letzten Teils ist die Zeit, für die der aztekische Götterbote Chac Mool im Titel steht.

Janacs erzählt aus verschiedenen Perspektiven, wechselt von der Touristenperspektive in die des Slumbewohners oder des Stadtkindes. Manchmal ist die Erzählung ein Bild, aus der Zeitschrift, vor der Kamera oder dem Auge des Besuchers. Charakteristisch ist das Überwiegen eines Blickes „von unten“, der Parteinahme, der den benachteiligten der Gesellschaft eine Stimme geben will.

Gedichte fassen zusammen, assoziieren Neues, irritieren, zwingen zur Reflexion. Reflexion, bewusstes Gestalten ist das Hauptmerkmal dieses Großtextes, in dem auch der Zweifel an der vermittelten Wahrnehmung nicht fehlt: „oder hatte, in den darauf folgenden Monaten, und später, zu Hause, das oftmalige Betrachten der Fotos, die du, möglichst unauffällig, immer in Deckung, hier gemacht hattest, dein Erinnerungsvermögen getrübt, so wie du den Eindruck hattest, die Aufnahmen würden die Farben nicht wirklichkeitsgetreu wiedergeben“.

Auch für das langsame Eindringen in diese Roman- und Landwelt braucht man Ausdauer und Geduld. Janacs macht es dem Leser nicht leicht. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass zu diesem Buch bislang noch kaum Rezensionen vorliegen, obwohl es eine ideale Einführung in ein populäres Reiseland abgibt.

Für das Land im Kopf – es ist Janacs‘ große Leistung, dass es so plastisch entsteht – werden viele einen Ankerpunkt in Form einer Karte wünschen, in die die vielen Ortsangaben in ein Raster geographischer Orientierung eingetragen werden können. Das würde doch nicht das Bild von Chaos, Orientierungslosigkeit auch Gefahr zerstören, das auf den über vierhundert Seiten vielfarbig gemalt ist.

Christoph Janacs Aztekensommer
Roman.
Linz, Wien: Resistenz, 2001.
427 S.; brosch.
ISBN 3-85285-061-4.

Rezension vom 25.06.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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