#Roman

Austreiben

Ernst Molden

// Rezension von Helmuth Schönauer

„Dieser Roman wird Sie im Schlaf verfolgen!“ – Selten einmal hat eine Werbebotschaft so die Wahrheit getroffen wie diese Warnung vor Ernst Moldens Roman Austreiben. Die Schrift des Umschlages fluoresziert, so daß der Roman tatsächlich leuchtet, wenn schon alle Lichter in Bettnähe ausgegangen sind.

Ähnlich wie beim Kriminalroman der Gegenwart dient auch beim Vampir-Roman das Genre in erster Linie dazu, mit Regelverstößen und Übertreibungen eine äußerst witzig-realistische Fassung des Alltags vorzustellen.
Story, Dialoge und Inventar sind so angelegt, daß sie wie bei einem Vexierbild schräg und gerade gelesen werden können. Und oft schwappt das Bild sogar mitten im Satz um. Die Vampire sind natürlich auf der super-realistischen Ebene Gelsen, die durch mehrfache Invasionen die Menschen zum Durchdrehen bringen. Die Menschen und ihre Handlungen wirken plötzlich läppisch und ohnmächtig zugleich.
Auf der mythologischen Ebene ist die Existenz von Vampiren ohnehin gesichert, in Ernst Moldens Roman hat sich das Donauweibchen einen sexuell-blutrünstigen Zahn besorgt, durch den die Menschen mit einer transzendenten Welt in Berührung gebracht werden. Meist fallen die kaputten Helden in einen Altarm der Donau und werden minutenlang unter Wasser mit allerhand Donau-Substraten begattet. Wieder an der Oberfläche rasten die Armseligen vollends aus und richten jeweils ein Blutbad an.
Der Realist wird an dieser Stelle wieder lesen, daß es sich um einen überdimensionalen Hitzekoller gehandelt habe.

Der Roman läuft in siebenundzwanzig Sequenzen seinem fulminanten Ende zu, einer Austreibung mit Hitze und Koller, Jammer und Gebet, Fliegen und Gelsen.
Die drei Hauptabschnitte sind jeweils einer Person und ihrer Aura des Bösen zugeordnet. Der Radiomoderator Joe macht so blöde Sendungen, daß die Menschen in ihm und seinem Pallaver das Böse sehen. Prompt wird ihm zu Beginn des Romans eine Brustwarze weggebissen, was den Sendungsmacher völlig ausrasten läßt und in der Folge in die Irrenanstalt bringt.
Der zweite Abschnittist der Sommer-Kommissarin gewidmet, die das Böse bekämpfen soll. Frau Magistra Mimi Sommer ist so etwas von gewöhnlich, daß sie schon wieder etwas Außergewöhnliches ist.
Und der abgehalfterte Monsignore aus dem dritten Kapitel macht dem Bösen letztlich den Garaus, indem er mit Duldung des Kardinals eine klassische Teufelsaustreibung inszeniert.

Kernzone des Romans ist die verslumte Gegend der Lobau, wo sich Äste und Sumpf kreuzen. Die Anspielungen auf pseudosakrale Rituale der Grünen in der Au sind mannigfaltig. Und generell gilt die Botschaft, daß Transdanubien mit Transzendenz und „Gaga“ zu tun hat.

Austreiben liest sich als schwüles Sittenbild eines bedrückenden Sommers 1999, wo man phasenweise wirklich Angst haben mußte, die Weltgeschichte könnte am Stadtrand von Wien zu einem Gelsenhaufen verklumpen und im Irrsinn steckenbleiben. Und wie alle Wörter, die sich mit dem Trieb beschäftigen, ist „Austreiben“ sehr hinterlistig gewählt, da die Faxen, die da zu Tage treten (austreiben) auch gleich wieder ausgetrieben werden – ein sommerliches Nullsummenspiel also.

Ernst Molden erzählt für den rasanten Leser in fetzig-geschwinder Weise und hat andererseits für den etwas langsameren Leser immer wieder Pralinen des Erzählens eingebaut, wenn etwa jeder im Sumpf „seine innere Kröte pflegt“ (S. 58), oder wenn „die Turbine noch eine Weile auf dem längst Leblosen herumkaut und dann gleichsam erstaunt stehen bleibt“ (S. 164).
Während nach der Lektüre in der Dunkelheit der Umschlag leuchtet, glüht der Roman im Innern des Lesers weiter. Ein guter Vampir-Roman strahlt eben nach seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten!

Ernst Molden Austreiben
Vampir-Roman.
Wien, München: Deuticke, 1999.
238 S.; geb.
ISBN 3-216-30468-X.

Rezension vom 16.11.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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