#Prosa

Außenseiter aus Passion

Peter Henisch

// Rezension von Redaktion

2003 erschien im Droschl-Verlag ein Dossierband, der eine Vielzahl von literarturwissenschaftlichen Außenperspektiven zu Henisch versammelte; dazu bei Residenz der Band Figurenwerfen, ein von Franz Schuh herausgegebener Reader mit Auszügen aus Primärtexten, die Henisch jeweils mit einem „Info für Craig“ (Craig Decker ist Germanist und Henisch-Übersetzer in den USA) zu Textintention, Genese und Umfeld einleitete. Im vorliegenden Sonderzahl-Band wird nun die Perspektive des gesellschaftlichen Individuums, des Zeitgenossen und Teilhabenden, sich Artikulierenden vorangestellt, wird ein Blick in die Textwerkstatt ebenso eröffnet wie einer auf die Epoche, die gesellschaftliche Atmosphäre, in der dieses Schreiben stattfindet.
Streng chronologisch, nach Themen in fünf Gruppen organisiert, beginnt der Band mit Politik, reflektiert und reagiert auf Zeitgeschehen, nimmt Stellung, warnt, gibt zu Bedenken. Einsetzend mit den Jahren 1972/73 finden sich Beiträge, kurze Artikel, Statements und Kommentare, Vorlesungen zur Literatur, Reden und offene Briefe.

Henisch formuliert besonnen, er ist kein Autor, der seine Funktion nur im Entlarven sähe. Es geht ihm nicht um Gesten des überlegenen Wissens, auch nicht um breit angelegte gesellschaftspolitische und soziale Analysen, sondern um eine klar definierte Haltung, um Stellungnahme und Widerspruch, auch im Poetischen (überraschend hier die pauschale Ablehnung Konkreter Poesie).
Henisch kommentiert: Seine Texte sind von einer Zurückhaltung geprägt, die sich immer mit einem gewissen Zögern äußern, dann aber aus der Reserve heraus grundlegend, pointiert und bedacht, gewarnt auch vor der Korrumpierbarkeit durch welche Anerkennung immer (etwa wenn er amüsiert darüber schreibt, wie er als „Pornograf“ bezichtigt in eine Fernsehdiskussion mit dem damaligen VP-Obmann Josef Taus eingeladen wird).
Man liest über die Arbeitsweise des Autors, erfährt über die Textgenese, über reichliche Umwege, die schließlich zum Roman Die schwangere Madonna führen. In etlichen Texten setzt sich Henisch mit dem Vaterbild und der Kriegsgeneration auseinander, zeigt Momente der Skrupel und Distanzierung gegenüber dem eigenen Schreiben. Als junger Journalist zum Foto-Keilen zu Opfer-Familien geschickt begreift er früh die Differenz zwischen Information und Sensation. Sichtbar wird dabei auch, wie sich eine Haltung entwickelt, wie literarische Rezeptionen dazu führen, Wertschätzung zu gewinnen, sich über eigene Ziele und Grundsätze klar zu werden, es finden sich Momente des Insistierens auf soziale Achtung, eine in der Verfassung verankerte Würde und das Grundrecht zu Hilfe: Henisch pocht darauf, fordert hier Rechte ein.

Dieses bunte Patchwork aus persönlichen Textdokumenten, wo sich in jeder Zeile das Erschrecken und das tiefe Engagement eines mitverantwortlichen Bewusstseins prägt, lässt sich auch lesen als eine Fibel der Gefühle und der Betroffenheit: Mehr als einmal habe ich eine Formulierung für Umstände gefunden, bei denen man noch Jahrzehnte später von der eigenen Ohnmacht eingeholt wird; Henisch bringt das in einem Satz unter, erfasst die Situation mal nüchtern, mal ironisch, knapp und punktgenau, präzis und unverhohlen. Die hier versammelten Beiträgen, Essays, Kommentaren und Meinungen aus Zeitungen und Zeitschriften erstellen so auch ein Diorama der Epoche (das Verzeichnis der Erstdrucke findet sich hinten im Buch und ist eine Lektüre in Zeitgeschichte für sich), die Adressaten von Henischs offenen Briefen stehen für Momente auch des Üblen in der Zweiten Republik: von Karl „Charly“ Blechas Gewaltandrohung gegen eine Jugend, die in Hainburg kampierte, über Waldheims Leugnen, Marcus Omofumas Tod durch „Anhaltung“, bis zur Haltung einer (christlichen, wie Henisch betont) Innenministerin Fekter, die Mitleid als „Schwäche“ versteht. Henisch fragt: Wie kommt es, dass manche sich nicht vorstellen, dass sie selbst je in eine solche Lage kommen könnten? Mit jener Empathie, die ihnen fehlt, versucht er dann das Denken und Wahrnehmen jener zu begreifen, die bedrohen, befremden und entsetzen.

Es ist der Geist Lumpazis, der Nestroy’schen Figur, mit dem sich Henisch querstellt, für sich bleibt, sich entzieht. Als ihm die Industriellenorganisation 1978 den Wildgans-Preis zuspricht, sieht er sich zur Rechenschaft gezwungen, zur Legitimation und Klärung: wie geht sein „eher links Sein“ mit dem „eher rechts Sein“ der Geldspenden verteilenden Organisation zusammen? Die Antwort des „freischwebenden Autors“ (so ein Aufsatztitel) lautet: Indem er „ideellen wie materiellen Bestechungsversuchen zum Trotz“ immer gegen jene schreiben werde, die geschlossene Systeme schaffen wollen. Diesen tritt Henisch gegenüber in kritischer Distanz, mit Ironie und einem humorvollen Sinn für Relativierung. Nicht so zu tun, als ob man für alles Lösungen hätte, aber hartnäckig auf Widersprüche hinzuweisen, das zeichnet die Beiträge dieses Autors aus in seiner insistierenden Leidenschaft.

Peter Henisch Außenseiter aus Passion
Texte zu Politik, Literatur und Gesellschaft aus vier Jahrzehnten.
Mit einem Nachwort von Walter Famler.
Wien: Sonderzahl, 2013.
442 S.; brosch.
ISBN 978-3854493884.

Rezension vom 01.03.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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