#Lyrik

Ausgewählte Gedichte

Gerwalt Brandl

// Rezension von Günter Vallaster

Punktgenau zu seinem runden Geburtstag ist ein Band der gediegenen Reihe „Podium Porträt“ Gerwalt Brandl gewidmet, dem „literaten, zeichner, sprechartisten und schreibpädagogen“, wie ihn Friedrich Hahn in seiner Einleitung vorstellt. Die vorliegenden „Ausgewählten Gedichte“ sind ein Florilegium aus veröffentlichten und unveröffentlichten Texten verschiedener Schaffensperioden, dem es hervorragend gelingt, in nuce die Lyrik von Gerwalt Brandl, der darüber hinaus auch Prosa- und Hörspielautor ist, in all ihren Facetten zu präsentieren.

Aus dem Dickicht des Dialekts steigt der erste Text, „Auditives Gedicht“, eine Art Gebetsmühle der Alltagstristesse („Tadu Erstgeburt Opfertastelle Essen ont“, S. 17), bei der sich von der Mundart aus weite Assoziationsfelder und Bedeutungslandschaften öffnen, durch die dann passagenweise Hugo Ball’sche Wortkarawanen ziehen („Kizziokün Evigelisande“, S. 15) und die mit „Kaubelkopf“ (14) auch mit Oskar Pastiors „Ballade vom defekten Kabel“ zu korrespondieren scheint, die mit den Versen „Adafactas / Cowlbl“ anhebt. Stramm wie August, nämlich August Stramm, stehen die Wörter in „Krakatau“ aus einem unveröffentlichten Gedichtband aus dem Jahr 1983. Im Gegensatz zum expressionistischen Pionier, der die Konversion für die Dichtung entdeckte oder zu Wort-Kaskadeuren wie Max Riccabona oder Hansjörg Zauner, die Komposita bauten und bauen wie andere Straßen, sind Brandls Kreationen eigentlich zu Wörtern gestauchte und kontrahierte Sätze, die dadurch Druck und Spannung erzeugen wie das Magma im Schlot eines Vulkans. Und was sich da staut und zusammenbraut, durch „Wodurchmann / Wodurchfrau / Wodurchhaus / Wodurchlinie“ (20), ist der ganz normale Wahnsinn „Menschentag“ (22). Farbenreich werden mit „Rotbewegung“, „Gelbalsgelb“ oder „Frackweißund“ (23) die Zustände der Lebenslava beschrieben und die stellenweise nach jedem Wort gesetzten Kommata vermitteln Gehetztheit, Beklemmung, Außer-Atem-Sein. Die Wörter fallen aus allen Satzwolken, was das „No / No“ am Ende einiger Strophen, als dialektales „Noch“ oder „Na!“ oder auch englisch lesbar noch auf die Spitze treibt, wie vor einer plötzlichen Bedrohung, vor einem Abgrund. Immer wieder wird auch gerne der eigene Name „Gerwalt“ den Versen als Schalk in den Nacken gesetzt, ob als „Weißesgerwaltmännchen“ (24), „Quatschkirschgerwaltiner“ (25) oder „Gottöberstgerwalt“ (26). Diese autobiographische Komponente kommt in den „Krakatau“-Gedichten gegen Ende immer mehr zum Tragen und mündet mit Beistrich und Leerschritt in den lapidaren, pointierten kursiven Schlussvers: „Gerwalt, “ (30).

Von geradezu molekularer und atomarer Dichte sind „Die chinesischen Karten“ aus dem 1995 bei Grasl erschienenen Gedichtband gleichen Titels: Begleitet von Sachtext-Satelliten an den unteren Seitenecken geht es hier dem Universum ans Eingemachte, Mikrokosmos wird mit Makrokosmos aufs Spannendste verschränkt. Die Protagonisten werden durch lautlich ähnliche Namen für Aminosäuren und deren Verbindungen, beispielsweise Peptide, ersetzt, die nun Liebesbriefe aus Russland erhalten oder als Truppen in der Kriegsberichterstattung erscheinen. Hat nicht die Weltraumforschung unlängst festgestellt, dass eine Galaxie aufgrund der Aminosäurenbeschaffenheit im Zentrum wie Himbeeren und Rum, also ungefähr wie ein Bacardi Razz schmecken muss und dass nach einer Sternenexplosion zu einem hohen Anteil Eisen, sozusagen die Sprenghülse zurückbleibt? In den „Chinesischen Karten“ treten alle diese Phänomene zu Tage, in Verbindung mit der Beleuchtung menschlicher Macht- und Gewaltstrukturen, die sich auf den Magen schlagen: „Die Ologopeptide erreichen / Olmütz mit Eisenrad und / Hufeisen. / Glutathion und Angiotensin / Schmiede der Welt, beplappern / Die Oligopeptide mit / Gußeisernem Gugelhupf“ (32).

Die entwicklungsgeschichtlich älteren Teile des Kleinhirns treten als antike Helden auf („Nodulus und Flocculus / Bewaffnet / Besteigen die Himmelspyramide“, S. 35) und „Hermann / Der Pfeile spitzt“ (34) zeigt, wie der Mensch den Pfeil zum schaurigen Schattenbegleiter des Seins macht und die Sehne des syntaktischen Bogens spannt und überspannt bis zum kurzen und schlagend prägnanten „Ist. / Schießt.“ (34).

In „Colorado, Fluss des verbrannten Holzes“, erschienen 2005 im Passagen-Verlag, wird dem Grundereignis Geburt poetisch nachgespürt, indem sie in drastisch-plastische Worte gepackt wird wie: „auf aus Glas geladen eiserne Bitternis Stuhlgang“ (37). Nicht mit Sonnenuntergangsromantik werden hier die Bilder gesetzt, sondern mit Gaze und Metall. Überhaupt liegt eine besondere Qualität von Brandls Dichtung darin, dass seine Bilderwelten fern jeden Klischees sind und er sprachlich permanent neue Ausdrucksmöglichkeiten findet. Auch die letzten drei Abschnitte des Buches, „〈QUECKSILBER〉“, „Einzahlen Mehrzahlen“ und „Irgendein“, alle aus neuen, bislang unveröffentlichten Manuskripten, belegen dies sehr deutlich. Da werden in Versalien die Fieberkurven der Gesellschaft, etwa der schulischen Sozialisation gemessen und nachgezeichnet, das Damals wird mit dem Jetzt verknüpft und refrainartig, wie Songs in Erinnerung gerufen, gleichsam als biographische Tonspur: „BRAVHEIT DIE BRAVHEIT / DES GELANGWEILTEN / ODER IN DIE LÄNGE GE / ZOGENEN SCHÜLERS DER“ (43). „Einzahlen Mehrzahlen“ setzt die Dinge in aller Mehrdeutigkeit in die Plurale, wie etwa: „Ich bin ein / Stecknadelköpfe“ (52) und „Irgendein“ am Schluss des Bandes verfrachtet Beliebiges und Austauschbares, letztlich den Tand der Warenwelt auf „einen Schubkarren“ (61).

Die Ausgewählten Gedichte liefern ein sehr schönes Panoramabild, ja Rundbild der Dichtung Gerwalt Brandls, das dazu einlädt, seine poetischen Landschaften und spannend-wagenden Textarchitekturen näher zu betrachten.

Gerwalt Brandl Ausgewählte Gedichte
Einl.: Friedrich Hahn.
Wien: Podium, 2009.
Podium Porträt. 42
64 S.; brosch.
ISBN 978-3-902054-63-0.

Rezension vom 26.05.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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