#Roman

Aus

Alfred Goubran

// Rezension von Angelo Algieri

Aus – Schluss – vorbei. So oder so ähnlich könnte man denken, wenn man Alfred Goubrans neuestem Romantitel Aus. liest. Wie der vorhergehende, literarisch überzeugende Erzählband „Ort“ ist auch sein jetziges Romandebüt im Wiener Braumüller Literaturverlag erschienen.

Und in der Tat geht es in der Handlung des Romans um den Tod: Die Frau von Münther verliert bei einem Unfall die gemeinsame, noch ungeborene Tochter Alice. Der Roman beginnt mit ihrer Beisetzung auf dem Wiener Zentralfriedhof; begleitet wird Münther von seinem besten Freund Muschg. Die beiden schweigen sich an, auch weil sie nicht genau wissen, wie sie mit dieser Situation zurecht kommen sollen. Und so lesen wir ihre Gedanken – im Wechsel. Hierbei erfahren wir, dass Münther als Redakteur arbeitet, seine Frau Anna aus einer sehr reichen Familie stammt, und dass ihre Beziehung schon nach fünf Tagen auf dem Nullpunkt war. Hinzu kommen Münthers Erinnerungen, wie er vom Autounfall erfahren hat, im Krankenhaus ankam, mit den Ärzten redete und später mit dem Bestattungsunternehmer. Dabei erfahren wir von Muschg, dass er Schauspieler ist, aber als Disponent in einem Theater arbeitet, sich über den Kulturbetrieb im Allgemeinen Gedanken macht, und wie er die Beziehung Münthers zu Anna und ihrer Familie sieht.

Doch ein Dritter im Bunde überlagert die Gedanken Münthers und Muschgs: Es ist der im Jahr zuvor verstorbene gemeinsame Freund Aumeier. In ihren Gedanken tauchen Aumeiers philosophische, teilweise apodiktische Aussagen auf. Münther und Muschg erinnern sich auch daran, wie Aumeier meist über den Zentralfriedhof sprach und ihnen die historische, soziale und zoologische Perspektive des Friedhofs erläuterte. Darüberhinaus glauben die verbliebenen Freunde nicht, dass Aumeier aus einem kleinen Fenster, durch das er kaum gepasst hätte, gestürzt ist.

Am Ende des Romans – hier kippt er in einen Thriller – erfahren wir, dass Aumeier ermordert worden ist: Er recherchierte über die Vergangenheit von Annas Familie während der NS-Zeit, insbesondere darüber, welche Rolle ihr Vater gespielt hat. Muschg erfährt dies aus der Kladde Aumeiers. Hingegen fragt sich Münther, weshalb Annas Mutter bei Aumeiers Beerdigung sagte, dass er selber schuld gewesen sei. Und so fügen sich die einzelnen Puzzelteile ineinander und ergeben ein entsetzliches Bild.

Um das Erschreckende zu verdeutlichen bedient sich Alfred Goubran der griechischen Mythologie. Mit den Kapitelüberschriften verweist der Autor auf die fünf Flüsse des Hades: Lethe, Styx, Kokytos, Phlegeton und Acheron. Wir befinden uns, mitten auf der Erde, bei den Toten. Mit jedem Kapitel überschreiten wir beim Lesen einen dieser Flüsse. Muschg und Münther überwinden mit dem Lethe zu Beginn die Vergesslichkeit, während mit der Überschreitung des Acheron, dem zentralen Fluss des Hades, eine Wiedergeburt stattfindet und die beiden Freunde den Friedhof verlassen. Die Flüsse erscheinen in der umgekehrten Reihenfolge von Dantes „Göttlicher Komödie“. Muschg und Münther müssen sozusagen aus der Hölle zurück ins Leben, wobei Aumeier ihr Vergil ist, der sie durch die Hölle führt. Der Zentralfriedhof wirkt somit als Ort der Sühne und der Wahrheitsfindung.

Auch wenn die Handlung des Romans sehr konstruiert scheint, umso deutlicher zeigt der in Graz geborene und in Wien lebende Goubran eine österreichische Gesellschaft auf, die mit ihrer braunen Vergangenheit noch einiges aufzuarbeiten hat. Goubran tut gut daran, den Finger auf die Wunde zu legen und fordert so auf, genauer hinzusehen und sich nicht von PR-Kampganen, Lobbyisten und dem politischen Konsens verblenden zu lassen. Mit „Aus.“ ist dem Autor ein großartiger, nachdenklicher und gesellschaftskritischer Romaneinstand gelungen – gerade aus Liebe zu Aus.tria.

Alfred Goubran Aus
Roman.
Wien: Braumüller, 2010.
416 S.; geb.
ISBN 978-3-99200-016-6.

Rezension vom 18.11.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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