#Roman

Aus nächster Ferne

Margarita Fuchs

// Rezension von Emily Walton

The Sound of Music. Der Film mit einer trällernden Julie Andrews in der Hauptrolle polarisiert. Da gibt es die einen, die völlig verstört sind von so viel Kitsch. Die beim Anblick von Lederhosen und einer jodelnden Großfamilie vor einer Bergkulisse die Nase rümpfen. Und dann gibt es jene, die vom Film – und vor allem von den herrlichen Landschaftsaufnahmen der Salzburger Umgebung – verzückt sind, und sich sogleich auf den Weg machen wollen. Zur Festung, zum Untersberg, in die Getreidegasse, um dann vor der Residenz ein Lied zu singen.

Zu Letzteren zählt die Rumänin Ligia Petrescu, denn es ist eben jener Film, der sie motivierte, in Österreich ein besseres Leben zu suchen. („Vielleicht hätte sie das altersgraue Kino in Bukarest nie betreten, Sound of Music – mit Untertiteln – nie gesehen, diesem Verlangen nach der blauen Stadtkulisse, nach den weiß polierten Plätzen, die glänzten wie Kartoffeln nach vehementem Bürsten, den fremden, aber heiteren Tönen und dem ultramarinblauen Himmel für Auserwählte nicht nachgegeben.“ S.6.) Wie Ligia nach Österreich gekommen ist, wird nur angedeutet. Aber die Reise nach Salzburg tut in diesem Roman wenig zur Sache, denn es geht um die Zeit, als Ligia schon eine Weile in Österreich ist. Sie arbeitet als Dienstmädchen der wohlbetuchten Hedi Hoch-Radl, einer „Frau voller Launen, exzentrisch ihr Ruf, berüchtigt ihre Zunge“. Ligia arbeitet fleißig und leise, bemüht sich, es der exaltierten Hausherrin recht zu machen, lauscht den Geschichten der reiselustigen Madame und bügelt geduldig jedes Stück Wäsche, „denn knitterfrei ist ein großes Thema im Hause Hoch-Radl“. Wenngleich ihr die Stelle und die neue Heimat gut gefallen, so ist Ligia dennoch keine glückliche Frau. Sie sucht ihren Sohn, Vasile. Sie vermutet, dass er in der Altstadt als Pantomime arbeitet. Ihr selbst fehlt allerdings der Mut, den jungen Mann, der still und starr und silbergeschminkt auf einer Kiste steht, anzusprechen. Als dann eine Besucherin, Lilly Rosner, zu einem Interview mit Madame auftaucht, nützt Ligia die Chance und bittet die Fremde, einen Brief beim vermeintlichen Sohn abzugeben.

Auf 279 Seiten konstruiert Margarita Fuchs eine Geschichte um diese Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch etwas gemeinsam haben. Madame Hoch-Radl wie auch Lilly Rosner sind Frauen, die auf ihre Söhne warten. Die von der Hoffnung leben, die längst erwachsenen Männer würden irgendwann zurückkehren. Der Roman lebt vor allem von den klar gezeichneten Charakteren, die Fuchs mit ihrer Sprache zum Leben erweckt. Dies gelingt nicht nur mit gezielter Beschreibung, sondern auch mit Dialogen und Randbemerkungen, die die Persönlichkeiten der Figuren unterstreichen. Fuchs, die nach einem Schlaganfall – sie war noch nicht 50 – das Sprechen und die Sprache neu lernen musste, ist eine genaue Beobachterin, die sich selten aber manchmal doch in Details verliert. Das erzeugt Längen, stört aber nicht weiter.

Beobachtungsgabe hat die Germanistin Margarita Fuchs schon 2003 in ihrem autobiografischem Romandebüt „Das große Fest in Portobuffolé“ bewiesen. Und nicht umsonst wurde sie 2008 mit dem Rauriser Förderpreis ausgezeichnet – für einen Text, in dem sie bereits die Welt der Straßenkünstler und Pantomimen schilderte.

Nun legt sie mit Aus nächster Ferne einen gefühlvollen Roman vor, der moderne Beziehungen (nicht nur Mutter-Sohn-Beziehungen) thematisiert. Alle Figuren in diesem Buch sind auf der Suche: Sie suchen den Kontakt zu anderen und die Liebe zu sich selbst. Darüber hinaus beschreibt dieser Roman aktuelle gesellschaftspolitische Phänomene. Es geht um Integration, auch um prekäre Arbeitsverhältnisse. Eingebettet ist die Geschichte in ein realitätsnahe Szenerie mit Salzburger Lokalkolorit; nicht nur weil der Verlag, die Edition Tandem, darauf spezialisiert ist.

Margarita Fuchs Aus nächster Fuchs
Roman.
Salzburg: Edition Tandem, 2011.
280 S.; brosch.
ISBN 973-3-902606-58-7.

Rezension vom 15.06.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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