#Sachbuch

"Aus meiner Hand dies Buch..."

Volker Kaukoreit, Marcel Atze, Michael Hansel (Hg.)

// Rezension von Ulrike Diethardt; Evelyne Polt-Heinzl

Zum Phänomen der Widmung.

Dichterlesungen, die heute Autorenlesungen heißen, haben im Zuge der Eventisierung zumindest der marktrelevanten Teile des Literaturbetriebs in den letzten Jahren einen unerwarteten Hype erlebt. Mit der Autorenperformance hat das Autogramm als popkulturelles Phänomen auch zur Neubelebung der handschriftlichen Widmung geführt. Die Marketingabteilungen der Verlage organisieren für ihre Autoren Lesereisen, nicht zufällig oft auch als „Lesetourneen“ bezeichnet, und die anschließende Signierstunde ist dem Autor Pflicht (und Verdienstmöglichkeit).

„Der Autor steht für Lesungen zur Verfügung“, ist nicht nur eine übliche Formel in den ausgesandten Pressemappen, sie ist oft auch Teil des Autorenvertrags. Die Pflicht des Signierens wird von den AutorInnen wohl sehr unterschiedlich empfunden und auch sehr unterschiedlich ausgeführt. Peter Glaser etwa bedient sich eines Stempels „Dieses Buch trägt eine persönliche Widmung“; das persönliche Einstempeln in die hingereckten Bücher verbindet den individuellen Akt des Signierens mit einem Element der Rationalisierung, das seinerseits mit der Geschichte der Buchwelt verbunden ist: in China entwickelten sich der Buchdruck aus der Tradition der Namenstempel.

In ihrer Einleitung vermuten die Herausgeber des Bandes, das aktuelle Interesse an der Beschäftigung mit dem Phänomen Widmung sei durch Gerard Genettes Klassiker „Paratexte“ (1987 dt. 1989) initiert worden. Unbestritten lieferte Genette die begriffliche Grundlage auch für das Thema Widmung / Dedikation, aber um diese Ebene geht es in der vorliegenden Sammlung eigentlich nur am Rande. Im Zentrum stehen „Fallgeschichten“, die aus der Dedikationspraxis eines Autors oder aus einer einzelnen Widmung private, lebensgeschichtliche und literarhistorische Zusammenhänge erschließen und beschreiben. Und hier liegt wohl zumindest ein weiterer Grund, weshalb das Interesse an Widmungen gut in unsere Zeit passt: persönliche handschriftliche Widmungen – und nur um die geht es hier – zu lesen und zu analysiseren oder im Falle von kryptischen Anspielungen oder Buchstabenkürzel gar zu entschlüsseln, hat etwas Indiskretes. Mit der persönlichen Widmung adressiert der Autor, die Autorin ein Werk an ein konkretes Gegenüber; die Basis kann eine intime Beziehung sein, eine familiäre, eine freundschaftliche, eine kollegiale oder eine berufliche. Aber anders als bei der eingedruckten Dedikation, ist sie in all diesen Fällen – auch dort, wo es um die Widmung an potentielle Förderer geht – an eine Person gerichtet, und eben nicht an die Öffentlichkeit. Interessantes kommt bei einem genaueren Blick darauf natürlich immer zutage, wie man im Beitrag von Wendelin Schmidt-Dengler nachlesen kann, der die Widmungen „Aus seinen Bücherschränken“ plaudern lässt.

Das literarhistorische Interesse an jeder Form von Zusatzinformation ist groß, der Genuss beim immer auch ein wenig voyeuristischen Geschäft auch, und im Idealfall werden daraus tatsächlich überraschende Erkenntnisse über Leben und Werk von Autoren gewonnen. Ein spektakulärer „Fall“ ist dem Band „Zum Geleit“ vorangestellt. Eine briefliche Auseinandersetzung zwischen Alexander Moritz Frey und Hermann Hesse, die sich an einem Hesse dedizierten Werk Freys entzündet, das dieser in einem Antiquariat wiederfand, entpuppt sich hier als Schlüssel zur Rekonstruktion von Alexander Moritz Freys schwierigen Exiljahren in der Schweiz.

Nach einem kurzen Abschnitt mit AutorInnen-Statements zum Thema „Signatio“ (Franzobel) folgt das schmale Kapitel „Kulturgeschichte und Markt“, und hier zeigt der einzige umfassende theoretische Beitrag von Diana Stört, dass eine formale Typologisierung wenig produktiv ist. Ein interessanteres Ordnungskriterium ist in jedem Fall die Frage nach der Intention und den Beziehungskontexten. Das hätte auch ein mögliches Ordnungsprizip für den gesamten Band sein können, denn für das Thema Widmung ergeben sich konstitutive Unterschiede eben weniger aus der Frage gereimt, gezeichnet oder in Prosa, sondern eher aus dem Beziehungskontext: Wer appelliert hier in welcher sozialen Rolle mit welcher Intention an welches Gegenüber? Eine Widmung an intime Freunde oder Liebespartner unterliegt anderen Gesetzmäßigkeiten als an Dichterkollegen oder potentielle Mentoren. Diese Form der Kontextualisierung steht im großen Abschnitt „Widmungen in ihrem Kontext“ und in der folgenden „Galerie der Widmungen“ mit Kurzanalysen aber nicht im Vordergrund, vielmehr werden aus den Formulierungen und den am Widmungsakt beteiligten Partnern literarhistorische Einordnungen vollzogen und Informationen erschlossen. Auf gut 300 Seiten entsteht so ein wahres Feuerwerk an Beiträgen mit Fallbeispielen, von denen viele – häufig sind die Verfasser die jahrelangen Nachlassverwalter oder -bearbeiter – aus der Petitesse der Widmung kleine Fundstücke für die Forschung entwickeln. Das Spektrum der behandelten AutorInnen könnte breiter nicht gesteckt sein, und wenn man den Band kontinuierlich durchliest, ist man kaum je versucht, einen Beitrag zu überblättern. Die Analyse von Theodor Fontanes gereimten Widmungen, die ihre – im Beitrag nicht thematisierte – Nähe zur zeittypischen Textsorte Stammbuchspruch zeigen, ist ebenso anregend zu lesen wie der mit Selbstporträts angereicherte Widmungsverkehr zwischen Thomas und Heinrich Mann, der zwischen Klaus Mann und Gottfried Benn, oder zwischen Sigmund Freud und Stefan und Arnold Zweig; privat-intime Enthüllungen wie im Fall Jakob Wassermann an „E.M.“ oder Ivan Golls mit (Herz)Blut gemaltes Herz an Paula Ludwig fehlen ebenso wenig wie Analysen zum dedikatorischen Gesamtverhalten eines Autors (Karl Kraus) und berührende oder aufschlussreiche Einzelwidmungen im Kollegendialog (Handke an Kappacher, Frisch an Dürrenmatt), und nur selten greifen die Verfasser der Beiträge auf ihnen selbst gewidmete Beispiele zurück.

Etwas verwunderlich ist vielleicht, dass mit ganz wenigen Ausnahmen – und auch hier wird das Thema allenfalls angetippt – ausschließlich die Inhalte der Widmungen gelesen werden, die Materialität der Handschrift aber kaum in den Blick gerät. In vielen Fällen hätte das sehr nahe gelegen, wie man auf den leider nicht allzu gut reproduzierten Faksimilebeigaben sehen kann. Etwa beim steil von links nach rechts ansteigenden kurzen Eintrag von James Joyce für das Ehepaar Goll. Dort, wo die ganze Seite faksimiliert ist, wird schon beim flüchtigen Betrachten klar, dass auch die Anordnung und Situierung der handgeschriebenen Zeilen im Kontext Buchseite einer Beachtung Wert gewesen wäre – und zwar keineswegs nur dann, wenn dieses Faktum unübersehbar ist, weil der Dedizierende die gedruckten Zeilen des Titelblattes in seinen „Schriftsatz“ spielerisch einbaut wie Peter Rühmkorf.

Viele der Beiträger stellen mit Bedauern – und zu Recht – fest, dass Widmungsexemplare im Bibliotheksalltag häufig unzureichnend gekennzeichnet und erfasst werden und daher schwer auffindbar sind. In der Literaturdatenbank und der Nachlassdatenbank der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur allerdings kann man hier schnell fündig werden.

Volker Kaukoreit, Marcel Atze, Michael Hansel (Hg.) „Aus meiner Hand dies Buch…“
Wien: Turia und Kant, 2006.
410 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-85132-476-5.

Rezension vom 09.02.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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