#Prosa

Aufzeichnungen einer Blumendiebin

Karin Ivancsics

// Rezension von Simon Leitner

Ich bin ein Kind vom Land, am Wochenende stehle ich Sonnenblumen von Feldern und montags schenke ich sie den hungrigen Menschen in der Stadt, Männern mit hungrigen Augen und Frauen mit langen Bärten, es ist meine Passion, das Blumenstehlen, es ist mein kleinstes Laster und meine größte Freude, ich weiß, dass ich es nie aufgeben werde, ich bin süchtig danach; das wäre eine schöne Berufsbezeichnung: Blumendiebin.

Schon auf den ersten Seiten wird klar, dass Karin Ivancsics‘ erstmals 1996 erschienenes und nun wiederaufgelegtes Werk Aufzeichnungen einer Blumendiebin seinen Namen nicht zu Unrecht trägt – handelt es sich bei diesem schmalen Büchlein doch genau um das: die Sammlung verschiedenster Einträge und Notizen einer Frau, die sich offenbar vollkommen bewusst und mit großem Vergnügen des Diebstahls diverser Pflanzen schuldig macht. Wobei sie diesbezüglich ein ganz spezielles Beuteschema aufzuweisen scheint: „Grünpflanzen allein reichen mir nicht, ich brauche Buntes, vor allem Gelbes.“

Bunt, das sind auch die Einträge selbst, deren inhaltliche und formale Bandbreite von der Beschreibung vermeintlich alltäglicher Begebenheiten und Begegnungen über Beobachtungen und Reflexionen bis hin zu Gesprächsfetzen, Liedern und (anderen) Zitaten reicht. Die überraschende, sich erst auf den zweiten Blick eröffnende und schwer zu definierende Anmut einer fetten Fliege („So hässlich ist sie gar nicht, wenn man sie genau betrachtet, ihre Augen sind irgendwie schön“) ist etwa ebenso Thema der Notizen wie in doppeltem Sinn komisches Obst („Es gibt Zitronen, die bringen mich zum Lachen. Ganz einfach deswegen, weil sie nicht wie Zitronen aussehen“) oder der unangenehme Eindruck, den ein Zoobesuch hinterlassen hat: „Am Nachmittag war ich im Tiergarten, konnte aber nicht lange bleiben, eine Affendame, die nur still in ihrer Ecke gesessen ist, mit monotonen, vor-und-rückwärts-wiegenden Bewegungen, gleich den jungen und alten Irren im Irrenhaus, hat mich traurig gemacht.“

Das Spektrum der meist recht kurz gehaltenen Aufzeichnungen ist also groß, doch es gibt auch gewisse Ankerpunkte, die immer wiederkehren und so eine Art roten Faden bilden. Dazu gehören unter anderem, der Leidenschaft der Ich-Erzählerin gemäß, Schilderungen zu bestimmten Pflanzen und Blumen, Wissenswertes über deren Pflege und kulturelle Bedeutungen, aber auch Tipps, wie und wo man sie sich am besten widerrechtlich aneignen kann – und welche Möglichkeiten etwa die verlassenen Hausgänge von Altbauten in dieser Hinsicht bieten. Ein zweites sich wiederholendes Thema sind (vergangene) Liebschaften, wobei in den entsprechenden Aufzeichnungen, mehr noch als bei den übrigen, vieles nur angedeutet wird. So erfährt man etwa eher beiläufig, dass eine gescheiterte Beziehung (bzw. deren Scheitern an sich) offenbar tiefere Spuren bei der Ich-Erzählerin hinterlassen hat, als einer ihrer Freunde vermutet hätte, oder man liest über die Vorbereitungen zu einem von italienischen „Schmachtfetzen“ begleiteten Abendessen, dessen Ausgang man lediglich erahnen kann.

Der Text lebt jedoch nicht nur von diesen Andeutungen und damit einhergehenden Leerstellen, sondern insbesondere auch von der (assoziativen) Gegenüberstellung profunder Erkenntnisse und Betrachtungen auf der einen und surrealen bis kindlichen (Tag-)Träumereien und Gedanken- wie Sprachspielen auf der anderen Seite. Nicht selten wechselt der Ton sogar innerhalb eines hakenschlagenden Satzes: „Das Herz ist ein dehnbarer Muskel, pflegte ich früher zu sagen, wie meine Strumpfhose, und Laufmaschen kann man stoppen mit grellem Nagellack, dieser Ansicht bin ich heute nicht mehr.“

Trotz seiner nicht mal 80 Seiten ist Aufzeichnungen einer Blumendiebin überaus dicht, prallvoll, wenn man so will, geradezu überschäumend. Und wenn man nicht wüsste, dass der Text nunmehr bereits ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat, würde man es ihm nicht anmerken. Denn dieses faszinierende Sammelsurium hochpoetischer Beschreibungen, kluger Beobachtungen und origineller Einfälle wirkt an keiner Stelle veraltet oder verwelkt, im Gegenteil: Es lebt und strahlt, wie ein Strauß leuchtender Blumen.

Karin Ivancsics Aufzeichnungen einer Blumendiebin
Prosa.
Wien: Klever, 2021.
82 S.; geb.
ISBN 978-3-903110-68-7.

Rezension vom 14.06.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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