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Auf der Wanderschaft

Julian Schutting

// Rezension von Helmut Sturm

Viele Schriftsteller waren/sind passionierte Geher. Werner Herzog umwanderte Albanien, Christoph Ransmayr durchstreift Irland oder das Tote Gebirge und auch der 72jährige Julian Schutting kennt das Vergnügen am Gehen.

Der Verdacht eines Zusammenhangs von aufrechtem Gang und Erzählen scheint nicht unbegründbar. Aus dem Zen-Buddhismus kennen wir das Meditieren im Gehen, die Peripathetiker meinten, dass wirkliches Philosophieren nur per pedes gelingt. Sich nach etwas auf die Suche zu machen evoziert ja auch nicht das Bild einer Couchpotato.

Freilich mancher Bestseller, etwa über eine Wanderung nach Finis Terrae, widerlegt die Theorie von einem Zusammenhang zwischen Gehen und Vernunft. Da wird Kitsch vermarktet.

Anders bei Julian Schutting. Die vier Texte des Bändchens Auf der Wanderschaft werden keine Rekordauflage erreichen, dafür verlangen sie – bei allem Esprit – der Leserin / dem Leser zu viel ab. Die Grammatik der Schuttingschen Sätze ist oft schwieriges Terrain, eine faszinierende, aber auch anstrengende Sprachlandschaft, durch die wir streifen. Dabei lässt uns die Lektüre nicht ermüdet zurück, sie regt an, wachen Auges auszuschreiten.

Das macht auch Julian Schutting. Er ist ein Augenmensch, der genau beobachtet, nie mit dem ersten Blick zufrieden ist, immer wieder die Perspektive wechselt, wie sich einem Wanderer auf seinem Weg ein bestimmter Punkt in der Landschaft eben immer wieder neu zeigt. En passant hält er die gängige Parole „Der Weg ist das Ziel“ für „tiefsinnigen Unsinn“, was er plausibel und recht emotional begründet. Überhaupt stellt sich ein emotionsgeladener Mann vor, der über sich räsoniert: „zu schlendern, dazu fehlt dir die heitere Trägheit“.

In der Haltung (selbst-)ironischer Frömmigkeit werden zwei Kärntner Wallfahrten vorgestellt: eine nach Maria Hohenberg – „wie auf Rollschuhen rückst du mir der Liebe Entratenem entgegen“ –, die andere – „In Wahrheit eine Phantasie“ – Der Jauntaler Drei-Berge-Lauf. Da wird über Gott und die Himmelsmutter geredet und dann wieder lapidar-ernüchternd das „Rauschen in der Luft drei Tage vor Pfingsten“ als das fest gehalten, was es ist: „es ist die Autobahn“. In der Orientierungslosigkeit sind da einmal „mit Bergrädern […] zwei blonde Engelsbuben zur Stelle“ um Auskunft zu geben. Und der Pilger bekennt, schon zu viel Sonne abbekommen zu haben „förderlich nicht bloß Abirrungen ins Metaphysische“. Interessant die Gegenüberstellung des Schriftsteller-Blicks mit jenem des Wallfahrers. Für letzteren gilt: „Photoapparat? Apage Satanas: eine fromme Zusammenkunft, eine heilige Wanderschaft hat Kopfbild zu bleiben, soll sich nur einschreiben deinem Herzen!“ Sprachlich wirkt vor allem die Wortwahl mitunter etwas anachronistisch, im Zweifel entscheidet sich der Autor für das ältere Wort, die seltenere Form. Das hat etwas von einem Justament-Standpunkt, etwas Einzelkämpferisches. Andrerseits bringt Julian Schutting gerade dadurch die Dinge in jene Schwebe, die auch Raum für (Be)deutungen offen lässt.

Hält der Leser vom Wallfahren sowieso nichts, soll er die beiden Texte zunächst überblättern (wenn ihm dabei auch Einsichten entgehen) und sich an „Gehen“ und „Unterkünfte“ wagen. Wir lernen Wanderziele (im Wienerwald, in Altausse, Kärnten, Mariazell, Wien) kennen, bedenken den Unterschied zwischen „spazieren“ und „flanieren“ und beobachten verschiedene Schrittarten. Auch hier geht es Schutting nicht darum Natur zu interpretieren, sondern sie einfach wahrzunehmen. „Beruhigung stellt […] sich ein, sobald man die schöne Idee von der Entwicklung der Gedanken im Gehen für sich widerlegt, indem man das von überhasteter Gangart ins Monologisieren aufgeputschte Ich […] mit einem: ‚Kusch!‘ zum Schweigen bringt“. Anders als Peter Handke liegt Julian Schutting nicht das gemessene Schreiten, sondern ihm sagt das flotte Gehen, zwischendurch auch Laufen zu. Handke, der in Gestern unterwegs notierte: „Eine (1) Lebensart immerhin habe ich geschafft: das Gehen“, unterstellt Schutting einen „über der Menschheit Höhen schweifenden Blick“. Dementsprechend ist die Antwort auf die Frage, was oder wie der Autor im Spazierengehen denke, nicht frei von anarchischer Blödelei. Der Erzähler memoriert im Gehen Phrasen, „die im mit Präfix versehenen Verbum ‚gehen‘ stecken“. Probe: „Wer weggeht, der entfernt sich fürs erste – alles weitere wird sich finden. wer fortgeht, hat ein Ziel. Mit ‚umhergehen‘ und ‚herumgehen‘ hat mans leichter.“

Vereinzelt klingen eine Sehnsucht nach den Wanderungen der Kindheit, eine leise Nostalgie an. „Brennholz und Fichten-, also hier Föhrenzapfen im Rucksack heimzutragen – arme Kinder! auch prasselndes Feuer nicht mehr. und nie welche an der Donau platteln zu sehen. Plattelsteine ja ohne Fernsteuerung.“

Doch Schutting ist nicht wehleidig. Das zügige Gehen hält jung und das im Untertitel angekündigte „Vergnügen“ wird tatsächlich vermittelt. Es lässt sich erproben. Bei einer Herbstwanderung und bei der Lektüre dieses Vademecums.

Auf der Wanderschaft. Über das Vergnügen am Gehen.
Salzburg, Wien: Otto Müller Verlag, 2009.
115 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-7013-1160-6.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 05.10.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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