Erstaunlich ist, was dieser Autor, Jahrgang 1964, in seiner Biografie alles unterbringt und wie neben vielen IT-Fachbüchern und Artikeln auch noch Literatur entsteht, sehr konzentrierte Literatur wohlgemerkt, die einen ruhigen Beobachter und Momente – oder besser Stunden – des Innehaltens im Alltag voraussetzt.
Einen solch kostbaren Moment thematisiert auch gleich der erste Text des Bandes, abendlich, in dem ein Mann sich im Schein einer Tischlampe heimlich über einen Stapel Bücher hermacht, für die er sich ein wenig Zeit gestohlen hat. Er atmet das Papier förmlich ein, schnuppert daran, um schließlich genussvoll wie in ein wohliges Bad in einen Gedichtband einzutauchen und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Die ganze Szene erstreckt sich über gut eine Buchseite, besteht nur aus einem einzigen Satz und erlaubt so keinerlei Unterbrechung. Trotzdem ist es ein natürlicher und melodischer Redefluss, dem man als LeserIn gerne folgt, auch ohne völlig atemlos am Ende anzukommen.
Dies ist das Stilprinzip des ganzen Bandes, der wie eine Liste oder ein Lexikon funktioniert. Ein Wort, immer ein Adjektiv, bildet den Titel, ein Satz den Text, das ganze achtundachtzig mal, alphabetisch geordnet und mit einem Inhaltsverzeichnis von abendlich bis xenophil, yuppig und zyklisch.
Die Themen sind breitgestreut und aus dem täglichen Leben gegriffen, Klaus Ebner lässt Männer und Frauen sprechen und immer wieder ein „ich“, da geht es um Arbeitswelt und Kindererziehung, um Beziehungen und deren Ende, um die Trennung von Vätern und Kindern, um Sehnsüchte, um das Alter, um Rassismus und um die Kriege und Flüchtlingsdramen, die wir täglich in den Fernsehnachrichten sehen, ohne dass sie uns etwas bedeuten.
Manche der kleinen Prosastücke sind sowohl inhaltlich als auch sprachlich stimmig und kompakt, halten ein Thema kunstvoll in der Schwebe, bleiben offen für persönliche Assoziationen. In anderen Stücken steigert sich die Rede zum wütenden Pamphlet, die Helden stehen tatsächlich „auf der Kippe“, müssen sich freireden. Vor allem das Beziehungsthema, der Verlust von Kindern durch Scheidung, ist stark emotional geprägt und wird vom Autor wiederholt aufgegriffen, z. B. im Kapitel „räudig“, in dem ein Ich-Erzähler – nicht ohne Ironie – von seinem Auszug aus der ehelichen Wohnung berichtet: „… ich aber zog von dannen, zumindest im Bewußtsein, meine Kinder so oft sehen zu können, wie ich wollte, ausgestattet mit einem Auto, das bald auseinanderfiel, auf der langwierigen Suche nach einer günstigen Hütte, jedoch ohne Lappen und Fressnapf.“ (S. 87)
Besonders eindringlich sind einige Texte, in denen Fernsehbilder vom Krieg plötzlich für einen Moment lebendig werden, wie in der Geschichte jener bosnischen Frau, die in einem Bericht aus einem Gefangenenlager ihren Sohn wiedererkennt.
Meine Empfehlung ist, das Buch tatsächlich zu lesen wie ein kleines Lexikon, an Überschriften hängenzubleiben, in Sätze einzutauchen, die Aufmerksamkeit schweifen zu lassen und jene Bilder zu finden, die spontan berühren und zum Weitderdenken anregen.
Sabine Schuster, Studium der Germanistik und Publizistik an der Universität Wien (Abschluss 1992), Tätigkeit für die schule für dichtung in Wien, die IG Autorinnen Autoren und den Folio Verlag, ab 1993 im Team des Literaturhaus Wien, von 2001 bis 2023 Redakteurin des Online-Buchmagazins.