#Prosa

Atemlos

Stefan Slupetzky

// Rezension von Erkan Osmanovic

Zwischen Irrsinn und Satire

Was bringt jemanden nach Wiesbaden? Der Schlossplatz, die Kaskadenbrunnen am Kureck oder ist es das Quellenviertel? Den Wiener Privatdetektiv Prikopa hat die Arbeit ins Herz von Hessen geführt. Viktoria, die Tochter des Vermögensverwalters Jütte ist entführt worden. Die Entführer verlangen Lösegeld, aber Jütte will nicht zahlen und engagiert stattdessen Prikopa, die Verbrecher auszuforschen. Gesagt getan. Die Spürnase heftet sich an die Fersen der Kriminellen. Doch schnell wird ihm klar, dass in diesem Fall so gar nichts klar ist:

„Wiesbaden ist schon ein seltsames Pflaster. Vorgeblich geordnet, sauber und korrekt, aber wehe, du lüftest den Schleier biederer Beschaulichkeit – da schlummern Abgründe. Man wird nicht einfach so zur Landeshauptstadt, ohne es faustdick hinter den Ohren zu haben.“

In seinem neuesten Buch Atemlos versammelt der österreichische Autor, Musiker und Zeichner Stefan Slupetzky zehn Short Stories – so der Untertitel. Neben dem Krimi Westend Story rund um den Privatdetektiv Prikopa findet man auch Das gefangene Herz – eine Geschichte über die zwei Internatsschüler Josef und Julius, den Ort Klammheim und einen verlassenen Turm. Die Neugier der Buben treibt sie Nacht für Nacht aus den Schlafsälen des Schülerheims ins Innere der Warte. Was sie dort entdecken, versetzt sie in Schockstarre:

„Genauso standen wir da, mein Freund und ich, und starrten auf die Röhre, auf den runden, fleischigen Klumpen darin, und wir konnten nicht glauben, was wir sahen: Es schlug. Das Herz schlug. Langsam zog es sich zusammen, zuckte nach außen, als wollte es sein Gefängnis sprengen, kam dann kurz zur Ruhe und begann aufs Neue zu pulsieren.“

Um den Puls des Lebens geht es auch in der titelgebenden Geschichte Atemlos. Slupetzky führt uns unseren Alltag vor Augen. Der entpuppt sich als Ansammlung von Pflichten und Notwendigkeiten. Ist das Leben also bloß eine Wartungsarbeit, die nie abgeschlossen ist? Und auch die Morgenroutine nur ein Algorithmus?

„Zum Beispiel Zähneputzen. Zehn Minuten Zähne putzen, mindestens. Die richtige Menge Zahnpasta, morgens um halb acht, das Fleisch nicht vergessen, es kreisend von außen nach innen massieren, dann das Zwischenraumbürstchen, die Zahnseide, das Ausspülen, das Nachspülen, die Kontrolle. Kontaktlinsen, meinetwegen. Man muss sie vorreinigen, dann sanft zwischen Zeigefinger und Handfläche reiben, sie mit der richtigen Menge des geeigneten Reinigungsmittels abspülen, sie nachspülen, sie kontrollieren. Hände waschen nicht vergessen.“

Der Text rüttelt auf und lässt aufhorchen. Genauso wie Ach Afrika, das uns in ein Paralleluniversum mitnimmt, in dem Österreich ein von Verwüstungen und Krieg gezeichnetes Land ist. Zwei Geschwister wollen ihr Glück in Afrika finden. Gerüchte über die AfrikanerInnen und ihre Art zu leben machen die schon länger die Runde: „In Afrika kann jeder werden, was er will. Schon die kleinen Kinder – und zwar alle kleinen Kinder! – gehen täglich zur Schule: Es kostet sie nichts! Später lernen sie einen Beruf und kaufen sich all die wundervollen Dinge aus den Geschäften. Sie kennen keinen Hunger, keinen Durst und keinen Krieg.“ Die Überfahrt ist voller Gefahren und in Afrika angekommen, kommt die Erkenntnis, dass es vielleicht doch kein Paradies auf Erden gibt.

Die Geschichten in Atemlos sind durch keinen roten Faden verknüpft – weder inhaltlich noch sprachlich. Während der Krimi Westend Story mit leichtfüßigen Sätzen glänzt, präsentiert sich etwa Ach Afrika in einem ernsten Ton, der jede Zeile lange nachklingen lässt.
Slupetzky gelingt es trotz der Fülle an Genres, seine Stimme in jeder Kurzgeschichte bemerkbar zu machen – sein schwarzer Humor etwa zieht sich durch alle Geschichten und lässt den Alltag und die eigenen Sorgen vergessen. Atemlos lässt uns in verschiedene Leben eintauchen und einige tiefe Atemzüge machen.

Stefan Slupetzky Atemlos
Short Stories.
Wien: Picus, 2020.
160 S.; geb.
ISBN 978-3-7117-2101-3.

Rezension vom 03.12.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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