#Sachbuch

Arthur Koestler

Christian Buckard

// Rezension von Alfred Pfabigan

Der 1905 in Budapest geborene und 1983 durch Selbstmord aus dem Leben geschiedene Arthur Koestler galt zu seinen Lebzeiten als der einflussreichste engagierte Intellektuelle des zwanzigsten Jahrhunderts. Ein Sensationsjournalist, der an der Nordpol-Expedition des Zeppelin teilnahm, kämpferischer Zionist und zeitweiliger Sekretär Vladimir Jabotinskys, ein mit den Republikanern sympathisierender Korrespondent im spanischen Bürgerkrieg, der durch internationale Solidarität vor der Erschießung gerettet wird, Kommunist, Mitarbeiter Willi Münzenbergs beim „Braunbuch“, das die Schuld der Nazis am Brand des Reichstags beweisen sollte – alleine diese unvollständige Aufzählung glamouröser Aktivitäten rechtfertigt den Titel von Christian Buckards neuer Biographie.

Nach seiner Abkehr vom Kommunismus verfasste Koestler „Sonnenfinsternis“. Der Roman ist 1940 erschienen, lange vor den von Koestlers Freund George Orwell verfassten Büchern „1984“ und „Die Farm der Tiere“, die eine ähnliche Thematik mit einer ähnlichen Tendenz behandeln. Koestler bezieht sich in einer stärker kolportagehaften Weise auf die Moskauer Prozesse – sein Protagonist Rubaschow, eine Figur, der unter anderem Nikolaj Bucharin und Karl Radek als Vorbild dienten, wird wie die anderen Angeklagten der stalinistischen Schauprozesse absurder Verbrechen bezichtigt, wird von seinem Vernehmer in eine quasi philosophische Debatte verwickelt und gesteht schließlich aus einer vertrackt begründeten Loyalität gegenüber der Partei Verbrechen gegen die Sowjetunion und Stalin, die er nie begangen hat. Das Buch hatte für Koestlers Leben weitreichende Folgen: es wurde ein internationaler Bestseller, lieferte jenem Teil des Exils, der sich nach dem Hitler-Stalin-Pakt vom Kommunismus und Stalin, dem „Gott, der keiner war“, abzuwenden begann eine willkommene Begründung und wurde vor allem intellektuell ernst genommen. Koestlers Frage nach der Relation zwischen „Ziel“ und „Mittel“, nach der moralischen Legitimation des Terrors, wurde prominent diskutiert und die von Koestler in einem theoretischen Buch vorgenommene Gegenüberstellung vom „Yogi“ und dem „Kommissar“ hatte zeitweilig schlagworthaften Charakter. Sein antikommunistisches Engagement verwickelte Koestler in eine Unzahl von internationalen publizistischen und praktischen Aktivitäten und machte ihn hinter dem „Eisernen Vorhang“ zu einem der bestgehassten Schriftsteller der westlichen Welt.

Für die meisten zu Koestlers Lebzeiten erschienenen Bücher zu seinem Leben und Werk standen diese Aktivitäten zentral. Das gilt nicht für die sozusagen halbautorisierte 1982 in London erschienene Biographie Iain Hamiltons – sie zeichnet zwar ein vollständigeres Bild, unterlag aber doch trotz gegenteiliger Versprechungen der Zensur Koestlers. Christian Buckard konnte zahlreiche neue Quellen benutzen – so entdeckte er etwa eine Auseinandersetzung des schlagenden jüdischen Korpsstudenten Koestler mit Otto Weiningers „Geschlecht und Charakter“. Koestler selbst hat sein Leben für eine bruchlose Einheit gehalten – folgen wir Buckards Darstellung, dann war die Auseinandersetzung mit dem Judentum sozusagen der rote Faden in diesem Leben. Mit Weininger hat schon der junge Koestler die Kultur der Diaspora als degeneriert erlebt. Auch Theodor Herzl hat die zionistische Bewegung als eine zur Produktion eines „Neuen Menschen“ verstanden, Koestler folgte ihm hier und wurde ein machohaft agierender „Muskeljude“, wie ihn Max Nordau postuliert hatte. Das zionistische Engagement sollte aus den jüdischen „Opfern“ des Antisemitismus kämpferische Herren ihres eigenen Lebens in einem eigenen Land machen. Als Anhänger des revisionistischen Zionisten Jabotinsky bestritt Koestler die Idee von einem konfliktfreien Zusammenleben zwischen Arabern und Zionisten und war ein – gemäßigter – Befürworter des jüdischen Terrors. Als Autor des die jüdische Besiedlung Palästinas beschreibenden Bestsellers „Diebe in der Nacht“ und zahlreicher anderer Schriften spielte er eine gewisse Rolle in der von Buckard interessant dargestellten Frühgeschichte des Staates Israel, verstand es aber, sich spektakulär mit allen Fraktionen zu verkrachen, bis er sich in Palästina seines Lebens nicht mehr sicher fühlte. Seine Haltung zu Israel und dem Judentum blieb letztlich ambivalent – in gewisser Weise hat er eine exemplarische jüdische Existenz geführt, die zwischen dem pendelte, was schlagworthaft „jüdischer Selbsthass“ und „militanter Zionismus“ genannt wird.

Im Buchhandel ist Koestler heute – von seinem „Spanischen Testament“ abgesehen – verschollen. Das ist bedauerlich, denn die „Sonnenfinsternis“ und auch die autobiographischen Schriften sind wichtige Dokumente einer bewegten Zeit. Das gilt nur eingeschränkt für das populärwissenschaftliche Spätwerk des bekennenden Anhängers der Parapsychologie, der schon in seiner Jugend Ernst Haeckels „Welträtsel“ verschlungen hat und sich offensichtlich als Nachfolger dieses umjubelten Naturphilosophen sah. Bücher wie „Der Mensch – Irrläufer der Evolution“ und die „Wurzeln des Zufalls“ finden sich heute noch als Taschenbuchausgaben eher obskurer Verlage in den Wühlkisten billiger Altwarenhändler. Im „Gespenst in der Maschine“ schlug Koestler sogar vor, durch gezielte Trinkwasserbeigaben genetische Mutationen an der Menschheit vorzunehmen – angeblich hat das Buch die Rockgruppe „Police“ zu einem Album angeregt, das wäre dann eine sehr spezielle Form des Nachruhms. Koestler selbst war von der Wichtigkeit dieser Bücher überzeugt, Buckard folgt hier Hamilton und behandelt sie äußerst kursorisch.

Was Frauen betrifft, hatte Koestler einen schlechten Ruf und der Vergewaltigungsvorwurf wurde mehrfach erhoben. Der Doppelselbstmord mit seiner Gattin Cynthia fügte sich in dieses Muster: der sterbenskranke Koestler, ein Kämpfer für den selbstbestimmten Tod, hatte guten Grund zum Selbstmord, doch galt das auch für seine Jahrzehnte jüngere und gesunde Gattin – oder hat auch hier eine Art Vergewaltigung stattgefunden? Keiner kann diese zwischenmenschliche Frage entscheiden, auch Buckard nicht, doch zeigt seine Darstellung, dass Cynthia – Sekretärin und Krankenpflegerin ihres schwierigen Gatten – letztlich meinte, der Tod mit Koestler sei einem Leben ohne ihn vorzuziehen. Das kann jede Leserin und jeder Leser selbst interpretieren.

Christian Buckard Arthur Koestler
Ein extremes Leben 1905 – 1983.
München: Beck, 2004.
416 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3406521770,

Rezension vom 22.10.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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